Das Puppen Theater ist bald Geschichte

von Beat Schwaller 8. Dezember 2015

Für die Mitwirkenden der Puppenbühne an der Gerechtigkeitsgasse 31 wird Ende 2016 eine einzigartige und faszinierende Zeit der Puppenspielkunst zu Ende gehen. Ein Gespräch vor der unwiderruflich letzten Saison einer Berner Institution.

Grosses Welttheater auf kleiner Bühne darf als Prädikat angesichts des reichen Gesamtkunstwerks der Puppenbühne Monika Demenga und Hans Wirth getrost angewendet werden. Es beginnt dort, wo das Menschentheater an seine Grenzen stösst. Ihre künstlerischen und schauspielerischen Ambitionen verschmelzen mit Können, Erspüren der besonderen Ausstrahlung der Puppe im Zusammenspiel von Kopf, Herz, Hand und dem Publikum. Eigens kreierte Figuren versinnbildlichen in Spiel und taktilem Geschick das Lieben, Leiden wie auch die masslos hochfliegende Selbstverherrlichung bis hin zur tiefsten Melancholie.

Die Puppenbühne Monika Demenga und Hans Wirth wurde im Jahr 1968 von Monika Demenga gegründet und war während der ersten Jahre mit wechselnden Spielern unterwegs – bis dann 1977 Hans Wirth als Partner der Bühne beitrat. Zudem wirkten in enger und regelmässiger Zusammenarbeit Fachleute aus den Bereichen Regie, Musik, Bühnenbild und Schauspiel mit. Wahrhaft aussergewöhnliche Momente in ihrer Spieltätigkeit erlebten die beiden bei der Aufführung der «Histoire du Soldat/Die Geschichte vom Soldaten», die C.F. Ramuz zur Musik von Igor Strawinsky geschrieben hatte. Die Puppenbühne spielte sie auch in der deutschen Übersetzung von Mani Matter.

Humanetten

Die Magie beim Gipfeltreff mit der versammelten Puppenschar entfaltet sich am verträumten Egelsee bei Monika Demenga, Hans Wirth und bei köstlichem, marokkanischem Münzentee. Lebensgrosse Figurenpuppen, sogenannte Humanetten, die von Demenga, Wirth und Gérard Widmer geführt wurden, ein Erzähler, ein Kammerorchester, Techniker – eine riesige Kiste sei das damals gewesen, erinnert sich Hans Wirth schmunzelnd. Und Monika Demenga schwärmt von dem ganz eigenen Zauber, den sie beim Spiel empfand, «diese lebensgrossen Puppen und hinter ihnen die Menschen als Manipulatoren», die die Puppen führten und bespielten, und die schwarz gewandet schattengleich mit dem schwarzen Bühnenhintergrund verschmolzen.*

Werdegang

Der Werdegang. Monika Demengas Weg zum Puppenspiel war ein gradliniger: Schauspielschule, Kunstgewerbeschule, Kurse am Institut für Puppenspiel in Bochum. Seit einer ersten Inszenierung im Jahre 1968 mit einer eigenen Wanderbühne unterwegs. Gelegentlich Lehrtätigkeit an der Schule für Gestaltung in Bern. Verschiedene Ausstellungen. Verschlungener schon war der Weg von Hans Wirth: Mehrere Versuche, in einem Beruf sesshaft zu werden; unter anderem als Glaser, Korrektor, Anschläger, Fischer auf den Lofoten, Büroangestellter, Skilehrer in Afghanistan, seit 1977 endlich Puppenspieler.

1987 eröffneten die beiden das THEATER vis-à-vis. Es liegt – wie der Name es trefflich belegt – dem Berner Puppen Theater über die Gerechtigkeitsgasse hinweg Aug in Auge; die Dépendance eben. Seit Juli 2014 ist dessen Führung in neue Hände übergeben worden. Heute heisst es kultur visavis und will u.a. jungen Menschen «Kultur im künstlerischen Umfeld und ausserhalb der Schule» anbieten und ihnen ermöglichen, «Kulturprojekte für sich und die Öffentlichkeit» zu entwickeln, wie es im Prospekt heisst.

Kinder als wunderbare Zuschauer

Wir blättern durch das jetzt und fragen gleich unser Gegenüber Monika Demenga: «Wie erleben Sie die heutigen Kinder?» Sie strahlt und äussert sich dazu ganz erfreut: «Sie sind nicht anders als früher, immer wieder wunderbare Zuschauer und ganz aufmerksame, detailbesessene Zuschauende. Sie senden uns oft auch Zeichnungen mit unglaublich vielen Details. «Die Kinder sind an TV, Filme und Computer gewöhnt, aber die sind flächig, haben nur zwei Dimensionen. Das Puppentheater beinhaltet drei Dimensionen, und das isch grad e Zacke meh.., das isch voll Magie!» so Monika Demenga. Die Kinder seien voll eingestiegen. Für sie sei es ein traumnahes Erlebnis. «Ein Kind stellte kürzlich verwundert fest, dass man in einem so dunklen Keller so schönes Puppentheater machen könne…»

Generationen im Theater

Dazu noch eine gefreute Geschichte aus dem Munde der Gastgeber, erst kürzlich passiert: «Da kam eines Sonntagvormittags eine ganze Bauernfamilie mit Grossätti, Ätti, Sohn und seinen Kindern, ganze vier Generationen, an die Kasse. Die «Glaskugel» war angesagt. Der junge Vater hatte dieselbe «Glaskugel» als Kind im Berner Puppen Theater gesehen. Der Ätti sei damals auch mit ihnen hingesessen und habe die «Glaskugel» angeschaut, weil er sie selber auch so gerne mochte. Was gibt es Schöneres, was kann einem Beglückenderes passieren, als wenn ein Mensch über 20 Jahre ein Kindererlebnis in Erinnerung behält und nun an gleicher Stätte in wunderbarer Weise weitergeben will?» Für Monika Demenga und Hans Wirth ein wahres Geschenk, auch an die Puppenbühne selbst.

Wir blättern von der Finissage bis zum Adieu! …und fühlen uns sogleich von den uns mit listigen Blicken musternden und leicht bedrohlich dreinschauenden Puppenwesen an Wänden und Decken verunsichert. Hätten wir wohl mit Finissage und Adieu zuwarten sollen? Nein, die Leserschaft soll vor der letzten Saison des BERNER PUPPEN THEATER Bescheid wissen. Auch wenn der Schock herb sein dürfte, herber sicherlich als jener Schock von damals, als die Coiffeuse von obenan verzweifelt Hans Wirth anrief und ihm von der 80köpfigen, umsonst vor der Puppenbühne wartenden, lebhaften Kinderschar berichtete, von der Schülervorstellung, die vergessen gegangen war! Die Puppenbühne erwies sich beim «Ausbügeln» als sehr grosszügig…

Schlusspunkt?

«D’Wiehnachtsgschicht von 2016 chönnt üse Schlusspunkt setze», sinniert Monika Demenga en passant, als wir die Treppe zum oberen Geschoss hochsteigen. Unversehens gleitet die Hand der Puppenkünstlerin in den Stulpen der Hexe, einer Handpuppe von Zwerg Nase. Fasziniert damit einige Kapriolen vollführend meint sie: «Die Puppe verliert in der heutigen Kultur des Puppentheaters an Präsenz und Gewicht, gerade so als würde man der Magie der Puppe nicht mehr trauen.» Dabei habe, sagt sie mit Nachdruck, «eine Puppe, die belebt wird, eine starke Magie und ist sofort ein Magnet. Weil die Puppe keine eigene Persönlichkeit mit einer Geschichte hat, keine eigene Biographie also, projizieren die Leute spontan dann oft ihre eigene Vorstellung und Phantasie in die Figur.»

Noch leicht benommen vom verdienten Sommerschlaf döste Zwerg Nase auf dem Estrich am Egelsee der Saison 2015/16 entgegen, die Mitte Oktober begonnen hat. Verunsichert vom soeben Gehörten macht er sich so seine Gedanken zur eigenen Zukunft. Für die Mitwirkenden der Puppenbühne an der Gerechtigkeitsgasse 31 wird Ende 2016 eine einzigartige und faszinierende Zeit der Puppenspielkunst zu Ende gehen. Und sie werden sich wohl mit einem tränenden, aber angesichts des fein gewirkten Lebenswerks auch mit einem verschmitzt lachenden Auge von ihrem Publikum verabschieden. Auch das Publikum wird vermutlich nicht nur weinen, besteht doch die berechtigte Hoffnung, dass uns auch danach die Puppenbühne mit jährlich zwei bis drei Aufführungen in loser Folge erhalten bleiben wird.