LE4+A schreddert Kunst zu Kunstkompost

von Fredi Lerch 28. November 2015

Eine Gruppe von Künstlerinnen verarbeitet Kunst zu Kompost und zeigt so, das Kunstwerke keine Aura der Unsterblichkeit haben. In der wirklichen Welt sind sie mindestens so sterblich wie jene, die sie herstellen.

Was für ein Tag: Seit heute, den 27. November, beginnt in der Elfenau auf dem Areal von Stadtgrün Bern der Kunstkompost der Gruppe LE4+A zu reifen. LE4+A, das ist die Künstlerinnen-Gruppe «Le quattro», Verena Welten, Maja Wagner, Eli Geiser und Flurina Hack. Das +A steht für die administrative Unterstützerin und Kulturmanagerin Annette Jaccard. Die Gruppe ist wahrlich seriös vorbereitet: Sie hat sich von Kompostierberatern der Stadt beraten lassen, um Kunst nach ökologischen Gesichtspunkten in «kompostierbar» und «nicht kompostierbar» trennen zu können (Ölfarbrückstände zum Beispiel sind giftig), und sie hat am 9. September im Rahmen des NEUstadt-lab 2015 auf der Schützenmatte als Probelauf einen Schredder-Aktionstag durchgeführt. Darum reift ab heute nicht nur Kunstkompost, heute gehen rund zwei Drittel des verarbeiteten Materials ins grosse Feuer der Kehrrichtverwertungsanlage Forsthaus.

Archivieren heisst auch schreddern und sägen

Gestern Abend war Finissage in der ArchivArte Galerie an der Breitenrainstrasse. Gemütlich sass man an den Tischen neben der KompostierBar bei Suppe auf Keilrahmen und einem Glas Wein. Die Gemüsesuppe schmeckte ausgezeichnet und die Tischflächen waren mit zersägten Keilrahmenstücken belegt.

Nur die Künstlerinnen hatten es streng. Sie arbeiteten kauernd und auf Bockleitern an den Wänden des grossen Raums. Dort hingen die fast achthundert Registerblätter, auf denen sie die seit dem 2. November «erledigten» Kunstwerke mit einem fotografierten Werkausschnitt und anonymisiert nach Titel, Gattung, Technik, Format, Signatur und Datierung vermerkt hatten. Diese Registerblätter hängten sie nun Blatt für Blatt ab, und hatten sie wieder eine Hand voll, gingen sie damit zum Schredder hinüber und «erledigten» auch sie.

Hier in der Galerie sei es darum gegangen, sagt Flurina Hack, dass KünsterInnen und Nachlassgeplagte Kunstwerke abgeben konnten, die sie nicht mehr aufbewahren wollten. Zuerst seien vor allem Zeichnungen, Skizzen und Studien gebracht worden, später immer mehr auf Keilrahmen gespannte Ölbilder: «Wir haben alles angenommen. Was wir schreddern konnten, haben wir geschreddert. Die Keilrahmen haben wir zersägt, die Ölbilder, die möglicherweise die Schreddermesser verklebt hätten, haben wir von Hand zerrissen und mit Scheren in Streifen geschnitten.»

Das Tabu vom Wegwerfen eines Kunstwerks

Flurina Hack erzählt: «Vor über einem Jahr haben wir die Gelegenheit bekommen, hier in diesem von Inga Vatter gegründeten Kunstarchiv für Kunst von Frauen eine Aktion zu machen. Unsere Ausgangsidee war, passend zum Ort etwas zum Thema Archivieren zu machen. Wir setzen uns deshalb mit der Frage der Kunstarchivierung auseinander. Ausser bei Künstlern wie Picasso und Klee, wo man jeden Zettel sammelt, heisst archivieren ja immer auch aussortieren, auch weil man die Kosten für die integrale Lagerung eines Gesamtwerks gar nicht tragen könnte.»

So entstand die Idee, die private, schambesetzte Arbeit des Wegwerfens, die ja stets die vergleichsweise schlechteren Werke trifft (was immer das heisst), als Aktion zu gestalten und so in die Öffentlichkeit zu transponieren. «Es wird ja unendlich viel mehr Kunst produziert, als später öffentlich ausgestellt, gesehen oder gar gekauft wird. Darum wollen wir hier das Vorurteil in Frage stellen, dass jedes Fötzeli aus einem Kunstatelier sakrosankt sei. Wir wollen zeigen, dass Schreddern ein normaler Teil des Archivierungsprozesses ist. Und dass wir nun heute Abend auch noch die Registerblätter, die auf die geschredderten Werke verweisen, in den Schredder werfen, hat den Grund, dass wir mit unserer Aktion nicht selber ein neues Werk schaffen wollen.»

Aber nach welchen Kriterien wurde hier geschreddert? «Wichtig ist», sagt Flurina Hack, «dass nicht wir das entschieden haben. Entschieden haben die Künstler und Künstlerinnen selber, die bei dieser Gelegenheit ihr Atelier herausgemistet haben. Und entschieden haben die Erbberechtigten von Nachlässen, zumeist Nachkommen von Künstlern oder Künstlerinnen.»

Zu diskutieren gegeben habe der Nachlass eines Künstlers, der vor über hundert Jahren gelebt habe und kunsthistorischen Fachleuten nicht völlig unbekannt sei. Schliesslich habe die Leiterin des ArchivArte im Untergeschoss der Galerie in Absprache mit dem Eigentümer des Nachlasses eine Auswahl von Werken getroffen, die erhalten bleiben sollen. «Uns ging es ja nicht darum, möglich viel gute Kunst zu vernichten. Wir wollten uns von jener Kunst, die im Rahmen des Archivierungsprozesses aussortiert wird, auf eine gute Art verabschieden.»

Die Kunstaktion geht weiter

Mit der Finissage in der ArchivArte Galerie ist die Kunstaktion freilich nicht zu Ende, im Gegenteil: Im Lauf der nächsten Monate wird der Reifeprozess des Kunstkompostes auf der Website in Wort und Bild dokumentiert. Irgendeinmal nächstes Jahr wird der fertige Kulturkompost in Bern ausgebracht: «Wir wollen den Kreis schliessen. Am Schluss soll auf dem Kunstkompost etwas Neues wachsen können. Kann sein», sagt Flurina Hack, «dass irgendwo im Rosengarten ein Schild stehen wird: ‘Hier wachsen Rosen auf Kunstkompost’.»