Kunst-Stafette #32: Haus am Gern

von Magdalena Schindler 10. März 2015

Für die Länge eines Wintertags schufen «Haus am Gern» (Barbara Meyer Cesta und Rudolf Steiner) mit ihrer Intervention am Bollwerk eine willkommene optische Erweiterung und Aufweichung des Unortes.

Was hat euch zu dieser Arbeit veranlasst?

Haus am Gern:

Anlass war die Einladung von Franz Krähenbühl & Crew zur Teilnahme an Transform – Versuchsanordnung 4 sowie das Interesse, dem Nicht-Ort Bollwerk einen kleinen Auftritt zu verschaffen. Transform (www.transform.bz) ist ein interdisziplinäres, experimentelles Kunstprojekt, dessen erste Ausgabe im Dezember 2011 stattfand. In leerstehenden Räumen oder an öffentlichen Orten im Raum Bern setzen sich dabei Kunstschaffende in einem vorgegebenen zeitlichen und konzeptionellen Rahm vor Ort mit einem Ort auseinander. Diesmal waren es zehn Positionen aus Musik, bildender und darstellender Kunst, die zwischen dem 9. Januar und dem 13. Februar 2015 mit dem Raum Bollwerk experimentierten.

Unsere Arbeit a.D. (Blaulichtparty) ist Teil unserer Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Spiegelung, das uns schon seit geraumer Zeit beschäftigt. Uns interessiert nicht die ästhetische, sondern die wahrnehmungs- und erkenntnistheoretische Seite des Spiegels. Wie erweitert der Spiegel unseren äusseren und inneren Horizont? Können wir mithilfe des Spiegels neue Denk- und Sehräume eröffnen? Transform hat uns in diesem Sinne eine Versuchsanordnung ermöglicht.

Ein erstes Projekt konnte leider nicht realisiert werden, da wir auf die Mitarbeit der Polizei angewiesen gewesen wären, für die ein Einsatz in der Nähe der Reitschule jedoch zu riskant war. Unsere Intervention fand schliesslich an einem eisigen Sonntag von 12 bis 22 Uhr statt. Das Publikum, etwa 500 Passanten, war unvorbereitet, unvoreingenommen und liess sich spontan auf die Situation ein. Das war für alle ein bereicherndes Erlebnis. Da Kunst via Presse, Kritik und Kontextualisierung als Kunst entlarvt und somit zu Kunst wird, war die Situation sonderbar: Wir hatten ein grosses, spielfreudiges Publikum, im Gegenteil zur offiziell angesagten Aktion um 20h, da kamen ein paar Eingeweihte und ihr Umgang mit der Installation war erstaunlich distanziert. Aber vielleicht hatten die Leute ja einfach ein bisschen zu kalt… 

Welchen Raum braucht ihr für eure Kunst? 

Wir brauchen Freiraum mit Regelwerk.

Sind gesellschaftliche Fragen Thema eurer Kunst?

Gesellschaftliche Fragen stellen sich im jeweiligen Kontext von selbst. Der Paechbrotbaum in Berlin war so eine Aktion, die wir auf Einladung von Pfelder und Simone Zaugg in ihrem Kunstraum Kurt-Kurt entwickelt haben. Da wurde mitten im Moabiter Kiez auf der Brache der ehemaligen Traditionsbäckerei Paech ein EDEKA- Supermarkt geplant. Wir haben im Quartier alte Schuhe gesammelt und sie zur Vernissage gemeinsam mit den Anwohnern auf den letzten noch stehenden Baum geworfen. Was natürlich umgehend die Polizei auf den Plan rief, welche die Aktion verbot. Es gab ein halbgerichtliches Nachspiel, das den Verantwortlichen sehr peinlich war. Der Baum wurde kurz danach gefällt, der EDEKA steht heute. Die Gesellschaft ist immer Teil unserer Arbeit, da wir für Adressaten arbeiten. Unser Anliegen ist aber die künstlerische Transformation mittels Bild im weitesten Sinne. Die Gesellschaft spiegelt sich in der jeweiligen Anordnung.

Sucht ihr die Öffentlichkeit?

Die öffentliche Aufmerksamkeit für unsere Arbeiten suchen wir bestimmt, das stille Örtchen behalten wir uns selber vor. Unsere künstlerischen Eingriffe sind kommunikativ, das heisst, wir arbeiten mit dem Kontext und trachten danach, ein allfälliges Gegenüber zu erreichen, das sich auf unser Werk einlässt oder einbezogen wird und dabei zu einer veränderten Aufmerksamkeit findet. Gern geschieht dies im öffentlichen Raum, genauso gern auch im konventionellen Kunstkontext, so geschehen 2014 im Kunsthaus CentrePasquArt und PhotoforumPasquArt Biel/Bienne, wo wir mit Know The Knoll die beiden Kunstinstitutionen räumlich und inhaltlich miteinander verschränkten und unser gesamtes bisheriges Werk als Werkstoff verwendeten.

Im öffentlichen Raum zeigt sich unser Werk klar als aussergewöhnliche Geste, ist aber in der Öffentlichkeit, also ausserhalb des konventionellen Kunstkontextes, nicht immer als solches angekündigt oder lesbar und erscheint dann eher als Objekt des Anstosses, wie z.B. Custom Creates Law. Wir haben an 74 Orten in Israel und in den besetzten Gebieten des Westjordanlandes Vorhängeschlösser mit der Gravur CUSTOM CREATES LAW (Gewohnheit wird zum Recht) befestigt. Wer sie – per Zufall – antrifft, ist gemeint. Oder wir gehen soweit, dass sich die Öffentlichkeit dem Werk gar nicht entziehen kann, zum Beispiel mit Fallada. Mit der Ankündigung, per Helikopter einen Pferdekadaver auf einen im Feld stehenden Traktor abzuwerfen, haben wir die öffentliche Meinung und die Medien stark strapaziert und herausgefordert. Ein Shitstorm war die Folge. Aber auch die Erkenntnis, dass sich die Menschen sehr schnell die unglaublichsten Vorstellungen machen, die ihnen dann die Sicht auf die doch naheliegende Wirklichkeit komplett verstellen. Unsere Arbeiten sind aber immer Aufforderung zum konstruktiven Spiel.

Wo seht ihr Potential zur Nutzung des öffentlichen Raums?

In seiner kreativen Erweiterung.

Welches ist euer persönlicher Hotspot in Bern?

Der Zug nach Biel/Bienne.