Bern im Oscarfieber

von Esther Fischer-Homberger 24. Februar 2015

Aus Anlass der Nominierung des von Stefan Eichenberger in Bern produzierten Kurzfilms «Parvaneh» hatte das «Lichtspiel» zu einer Oscar-Nacht geladen. Journal B war mit dabei.

«Parvaneh» ist der gemeinsame Abschlussfilm vom Berner Produzenten Stefan Eichenberger und der Regisseurin Talkhon Hamzavi an der ZHDK 2012. Beide wurden für den Kurzfilm-Oscar 2015 nominiert.

«Parvaneh» zeigt das berührende Portrait einer jungen afghanischen Migrantin in einer Schweiz zwischen Beziehungskälte und überraschender Solidarität.

Umgeben von Projektoren und Kuriosa

Man war für den Anlass zu Gast im «Lichtspiel», in den Räumen der 2012 an die Sandrainstrasse 3 gebrachten phantastischen kinematografischen Sammlung, deren Fundament der zwischen den beiden Weltkriegen geborene Walter Ritschard, Telegramm- und Briefpost-Austräger sowie Wanderkino-Betreiber, gelegt hat.

So konnte man in den Pausen alte Musikboxen und andere Spiel-Automaten in Gang setzen, historische Filmplakate betrachten, zwischen hohen Regalen mit Projektoren aller Art flanieren, Miniaturen und Kuriosa bestaunen. Es handelt sich um eine der wohl weltweit grössten derartigen Sammlungen, getragen wird sie von der Stadt und einem Verein von Filmfreunden.

Kurzfilme aus dem Archiv

Zu Beginn der langen Oscar-Nacht führte das «Lichtspiel» im Rahmen seines regelmässigen (des 757sten) Sonntag-Abend-Kurzfilmprogramms in die Thematik ein. Die Auswahl kreiste um Themen wie Wettbewerb, Erfolg, Festspiele – und Oscar-Verleihungen. So sah man Walt Disneys «Bugs Bunny» einen Oscar anstreben (1944) – und Mickey Mouse, wie sie schon in den Dreissigern von berauschendem Erfolg in der Filmbranche träumte.

Ergänzend wurden alte Wochenschauen aus den 1950er- und 1960er-Jahren etwa über die Berlinale, die Festspiele in Cannes und die Oscar-Verleihungen in Hollywood projiziert und damit etwas von der Historizität der führenden Ruhmes-Fabriken freigelegt. Solche Aufnahmen aus dem Archiv stossen die Relativierung und kritische Reflexion des aktuellen Rennens um Preise und Erfolg wie von selbst an.

Bemühen um Anerkennung und Distanz

Freilich, die ironische, komische und kritische Distanzierung vom Prinzip des Wettstreits kombiniert sich ganz selbstverständlich mit dem existentiellen Ernst des Ringens um Anerkennung – wie das der als bester Film gekrönte «Birdman» von Alejandro González Iñárritu zu seinem Thema gemacht hat. Viele PreisträgerInnen nützten ihre momentane Publizität zudem, um den politischen Anliegen ihrer Filme Nachdruck zu verleihen.

Julianne Moore, Hauptdarstellerin in «Still Alice», hat sich für ihren Oscar als für einige Jahre geschenkten Lebens bedankt – tatsächlich wollte eine Untersuchung der Universität von Toronto 2001 am Beispiel der Oscars zeigen, dass GewinnerInnen im Durchschnitt signifikante vier Jahre länger leben als Nicht-GewinnerInnen. [http://fisher.utstat.toronto.edu/reid/sta442f/2009/aawards.pdf]

Zwei preiswürdige Berner Kurzfilme

Nach einer ausgiebigen Pause mit Bar und Gesprächen wurden eine Stunde vor Mitternacht die beiden nominierten Kurzfilme aus Berner Küchen vorgeführt: «Parvaneh», das Herzstück des Abends, und «Auf der Strecke» von Reto Caffi (in Bern aufgewachsen), der 2008 mit dem Studenten-Oscar für den besten ausländischen Film (Honorary Foreign Film Award) und 2009 mit einer Oscar-Nominierung der Academy of Motion Picture Arts and Sciences ausgezeichnet worden ist.

Danach gab es – gesponsert und persönlich serviert von Lucie Bader von der Outreach GmbH eine «Midnight Soup & Chees», die das ausharrende Publikum dankbar annahm.

Die Oscar-Übertragung

Dann endlich, um 00.30 Uhr ging es mit der Oscar-Übertragung los, zu der Stefan Eichenberger und Talkhon Hamzavi zugeschaltet werden sollten. Die Schreibenden haben sich der Betrachtung dieses zum 87. Mal wiederholten Rituals noch nie in extenso ausgesetzt, waren daher beeindruckt von pausenloser Aufregung und Reizüberflutung.

Die Kanalisierung der Aufmerksamkeit auf Kleider, Celebrity-Pegel und Wettbewerbsfieber half, den Overkill sportlich zu überstehen. Gleichzeitig faszinierten die Blicke von Non-Celebrities aus dem Hintergrund in die Kamera, und man beschäftigte sich mit der im Grunde müssigen Arbeit, unterscheiden zu wollen zwischen realen Kulissen und Menschen einerseits und «virtual realities» andererseits.

Überraschend war denn doch die Unwiderstehlichkeit, mit welcher man bei aller gebotenen Kritik bereit war, schon um der Unterhaltung willen, das suggerierte Wertesystem zu übernehmen, und sich unbedingt einen Oscar für Stefan Eichenberger wünschte. Streckenweise wurde die Übertragung gestört, so entstanden Pausen, die Kopf und Gemüt vom Sog des Wettbewerbsfiebers etwas entlasteten.

Der spannende Moment

Man wusste nicht, wann es auskommen sollte, ob der Berner Traum sich realisieren würde, denn die Reihenfolge der Kategorien ist jedes Jahr eine andere. Schliesslich kam es zur Verleihung für den «besten Kurzfilm». And the Oscar went to… «The Phone Call».

Das Lichtspiel-Publikum heulte auf, klagte und bedauerte. Die Live-Zuschaltung von Stefan Eichenberger und Talkhon Hamzavi hat dann nicht mehr stattgefunden – womit man, aus dem psycho-sozialen Schraubstock des Wettbewerbs befreit, nach 3.45 Uhr an die gastfreundliche Lichtspiel-Bar zurückkehrte.

Und mit dem Satz aus der Dankesrede von Graham Moore («The Imitation Game») nahm man irgendwie fast das Motto des Abends mit: «Stay weird, stay different.» Es passt durchaus auch für den nominierten Berner Beitrag nicht schlecht. Und so konnte man im Morgengrauen getrost nach Hause gehen.