Absolut phantastisch

von Esther Fischer-Homberger 8. Juli 2014

Am Festival des phantastischen Films können sich Phantasy-Muffel in die Geheimnisse eines Filmgenres aufklären lassen, das abseits der Massen grosse Zuneigung erfährt. Unsere Autorin hat den Schritt gewagt und ist von Bern nach Neuenburg gereist.

Letzten Freitag hat das Neuchâtel International Fantastic Film Festival NIFFF begonnen. Zur festlichen Eröffnung wurde «The Zero Theorem» von Terry Gilliam aus dem Jahr 2013 gezeigt, das letzte Stück der satirisch-dystopischen Trilogie des in den USA geborenen britischen Filmemachers (nach «Brazil» 1985 und «12 Monkeys» von 1995). Gilliams Komik, Kindlichkeit und Bizarrerie verstärken nur noch die Düsterkeit seiner eindrücklichen neuen Arbeit. Er selbst war bei dem Eröffnungsfest nur mit einem Gruss-Film anwesend, da er an dem Tag mit der Monty-Python-Truppe, zu der er gehört, in London auftrat.

Neuenburg in Feststimmung

Neuenburg war in Feststimmung – das Zelt des Zirkus Knie war aufgestellt und zur Feier des letzten Schultags strömten Kinder mit selbstgemachten merkwürdigen Hüten und anderen bunten Papierkonstruktionen durch die Stadt. Viele waren offenbar auch zu einer Filmvorführung eingeladen in einem der Kinos, in welchen das NIFFF seine diesjährige Auswahl zeigt – es sind 80 Spiel- und 33 Kurzfilme aus etwa 30 Ländern. Über das Wochenende hat das NIFFF für grosse und kleine Kinder in der Stadt zudem eine Detektivjagd vorbereitet und Begegnungen mit Ausserirdischen.

Die rituellen Präliminarien waren nach bestem Können gestaltet, informativ und unterhaltend – die Romands können das besser als wir aus dem deutschen Sprachbereich. Die Verdankung der Sponsoren wurde in Form eines Streifzugs durch die Geschichte des fantastischen Films – angefangen mit Georges Méliès’ bekanntem Bild vom Mond, dem ein Raumschiff ins Auge gegangen ist (1902) – aufs wunderbarste abgehandelt.

Das Genre der Phantastik

Vorgängig waren zusätzlich zwei Werke zu sehen: eins aus der Kategorie «Ultra Movies». Zu den Ultra Movies zählen Werke vom Typus des Horror, der «slasher», «fantasy», «supernatural», ausserdem einen «hammer horror» aus den seinerzeit legendären britischen «Hammer-Studios». Die Ultra Movies handeln etwa von einer Essgestörten, die sich selber auffrisst, von Nazi-Zombies und Zombeavers (Zombie-Biber), von einem «Discopathen», der keine Discomusik erträgt und deswegen Disco-Girls umbringt, und von einem Massenmörder aus indonesisch-japanischer Produktion. Zwischen 1 und 3 Uhr nachts werden meistens Filme aus dieser Kategorie gezeigt. Ein hoher Prozentsatz der Besucher des NIFFF sind rund 20 Jahre alt.

In der Kategorien der «International Competition» konkurrieren 14 Werke miteinander – paranoide und surreale Dramen und Horror aller Art: gothischer Horror, Science-Fiction- und UFO-Horror, Werwolf-, Nightmare-, Teenage- und Bad-Romance-Horror, mythologischer und Fantasy-Horror.

Es werden auch, ebenfalls in einem Wettbewerb, neue asiatische Filme (und erstmals auch ein asiatisches Kurzfilmprogramm) gezeigt – Asien, gespenstergewohnt, ist eine Wiege des fantastischen Films und ein Quell seiner Erneuerung.

Experimentierfeld phantastischer Film

Anaïs Emery, die künstlerische Leiterin des NIFFF, schätzt namentlich auch das weniger bekannte asiatische Populärkino als «extrem dynamisches Labor für ästhetische Experimente». Der fantastische Film sei überhaupt ein «genre hyper actif». Er «schöpft das Potenzial des bewegten Bildes seit der Pionierzeit der Filmgeschichte voll aus», sagt sie.

Und weiter: «Im Herstellungsprozess eines fantastischen Films kommen sämtliche Filmberufe zum Einsatz. Daher ist das NIFFF ein idealer Ort zum Ausloten der aktuellen Herausforderungen, die entstehen, wenn ein Film gemacht wird. Zudem haben wir seit der Gründung des Festivals eine gewaltige technologische Revolution erlebt, die sowohl die Produktionstechniken als auch die Arten des Filmkonsums völlig neu definiert hat. Die Grenzen zwischen Filmen, Games, TV-Serien und Transmedia-Produkten werden zudem immer durchlässiger.»

Ehrungen und Parallelveranstaltungen

Weitere Kategorien sind «Focus le Japon imaginaire», «Swiss Shorts», «European Shorts», die «Films oft he Third Kind», und die «Hommage à Hans Ruedi Giger».

HR Giger, der phantastische Realist, Maler, Plastiker, Innenarchitekt, der 1980 für seine Arbeit zu «Alien» (Ridley Scott, GB, USA 1979) den Oscar für die besten visuellen Effekte bekommen hat, ist am 12. Mai dieses Jahrs gestorben. Ohne ihn hätte das Neuenburger Festival «nie das Licht der Welt erblickt».

Ausserdem sind zwei Ehrengäste zum diesjährigen Festival eingeladen – Kevin Smith, der unabhängige US-amerikanische Regisseur der 1990er und, im Rahmen des Literaturforums, George R.R. Martin, der ebenfalls nordamerikanische Autor von Fantasy-, Horror- und SF-Geschichten, auch für Film und Fernsehen. Ihnen war auch je eine «carte blanche» gewährt, was sie berechtigte, am NIFFF je drei Filme ihrer Wahl zeigen zu lassen.

Paralelveranstaltungen wie das Symposium «Imaging The Future», das Literaturforum «New Worlds of Fantasy» und neu das Kolloquium «TV Series Storyworlds – Writer’s Room» ergänzen den filmischen Kern des Festivals.

Wenn ich etwas bemängeln darf, ist es im grossen Katalog das Fehlen von Indices, wie sie sich im Medium Buch bewährt haben. Alphabetische Verzeichnisse der gezeigten Filme und ihrer AutorInnen wären doch sehr praktisch.

Geschichte des phantastischen Films

Menschen, die wie ich im Genre des fantastischen Films wenig bewandert sind, können sich zurzeit in Neuenburg von kompetenten Leuten ihre Bildungslücke fürs erste etwas ausbessern lassen. Für sie ist die Kategorie «histoires du genre» besonders interessant.

Am Tag der Eröffnung des Festivals wurde daraus passend zu seiner jungen Klientel der britische Film «Beyond Clueless» (2014) von Charlie Lyne gezeigt. Dieser ist eine Anthologie von Szenen aus einer Vielzahl von Adoleszenten- bzw. Collegefilmen aus den letzten zwei Jahrzehnten, gegliedert nach Kapiteln zum Eintritt, zur Konformität, zu sexueller Annäherung und Vollzug, zum psychose-nahen pubertären Zerfall bis zum Übergang in die phantasy-lose Welt der Erwachsenen. Genderaspekte des Erlebens wurden dabei kaum beachtet.

Andere «histoires du genre» behandeln die Geschichte der «Taiwan Black Movies», die «Könige des italienischen B-Movies» («I Tarantini», Italien 2013), die «Do-it-yourself-Generation» der 1980er-Jahre («Super 8 Madness!», Frankreich 2014). Und es werden auch repräsentative ältere Werke gezeigt.

Empfehlung

Das gespenstische Festival in der schönen und allem Anschein nach lebensfrohen Stadt der alten Schlösser und Herrschaftshäuser sei gerade auch allfälligen Phantasy-Muffeln empfohlen. Man lernt hier unter kundiger Führung ein Genre kennen und erkennen, das nicht unbedingt zur höheren Bildung gehört, das jedoch die Jugend und die medienkonsumierende Menschheit womöglich mehr interessiert als manche andere Produkte, und welches eine differenzierte Rezeption verdient.

Freilich, die NIFFF-Projektionszeiten zwischen 23 und 2.45 Uhr an gewöhnlichen Wochentagen sind den Bildungsbedürfnissen eines gesetzteren, selbst ortsansässigen Publikums wenig angepasst.