Sonnengediehen

von Janine Schneider 22. Juni 2021

Der Radiesli-Hof in Worb feiert dieses Jahr sein zehnjähriges Jubiläum. Ein Besuch bei einer solidarischen Erfolgsgeschichte.

Regengeschützt wachsen in einem langen Tunnel Tomaten neben Melonen und Gurken. Dahinter beginnt das Ackerland, auf dem Kartoffeln, Gemüse und Getreide angebaut werden. Die Junisonne brennt heiss auf die Herde Kühe hinunter, die neben einem mobilen Hühnerstall weidet. Ein ganz normaler Worblentaler Bauernhof, so könnte man denken. Wäre da nicht die bunte Palme aus Metall, die mitten auf dem Hof in den satten blauen Himmel ragt. Darunter bepflanzte Einkaufswagen und an der Wand neben dem Eingang ein mannshohes Radieschenschild, das frech verkündet, wer hier das Sagen hat.  Denn der Radieslihof in Worb ist kein konventioneller Hof, sondern eine solidarische Landwirtschaftsinitiative.

Das Prinzip solidarischer Landwirtschaft: Konsument*innen schliessen einen Jahresvertrag mit den Produzent*innen ab, bezahlt wird im Voraus. Die Produzent*innen haben Planungssicherheit und finanzieren damit den Hof. Die Konsument*innen beziehen wöchentliche (oder saisonale) Ernteanteile, entsprechend der gewählten Anteilscheine beispielsweise Gemüse, Getreide oder Eier.  Zusätzlich zum bezahlten Anteil gehört zur Mitgliedschaft auch, dass mehrere Tage auf dem Hof mitgearbeitet wird. Damit soll der persönliche Bezug zur Ernte und zur Hofgruppe, die das Land bewirtschaftet, hergestellt, das solidarische in der Vision angegangen werden. Mitbestimmung und Selbstverwaltung werden grossgeschrieben und der persönliche Kontakt zwischen Bewirtschafter*innen und Mitgliedern ist eines der wichtigsten Anliegen des Projekts. «Wenn ich die Person kenne, die meine Kartoffeln anbaut, habe ich auch einen anderen Blick auf den Preis, den ich dafür zu zahlen bereit bin», findet Marion, eine der Bewirtschafter*innen, die sich bereit erklärt hat, mir den Hof zu zeigen. Als Gemüsegärtnerin ist sie schon seit Anfang mit dabei und konnte mitverfolgen, wie das Projekt gewachsen ist und immer breitere Unterstützung erfahren hat.

Skeptische Reaktionen

Angefangen hat alles vor zehn Jahren: zwei Frauen auf der Suche nach Boden für ein solidarisches Gemüseprojekt. Sie konnten schliesslich einen halben Hektar Land bei Ueli pachten, einem älteren Landwirt, der guten Boden in der Ebene des Worblentals besass. Radiesli konnte anfangen zu wachsen und Wurzeln zu treiben. Als Ueli dann vor fünf Jahren in Rente ging und seine Kinder den Hof nicht übernehmen wollten, beschloss Radiesli den ganzen Hof zu pachten. Nun kamen zum Gemüse Kühe und Ackerland dazu. Die Reaktionen der umliegenden, nachbarschaftlichen Bauern waren zuerst skeptisch. «Da haben sich wohl viele gefragt, was das für Spinner sind», schmunzelt Marion, «und Ueli musste sich mehr als einmal anhören, welcher Dummkopf denen denn Land gegeben habe.»

Kribbelige Zeiten

Den Landwirt*innen, die alle konventionelle Landwirtschaft betreiben, musste es abenteuerlich vorkommen, was Radiesli für Ideen verfolgte. Nicht nur im solidarischen Aufbau des Projekts, sondern auch in der ökologischen Vision einer alternativen Landwirtschaft: Biologisch, ohne Pestizide, die Setzlinge werden eigenhändig herangezogen. Wobei Erfahrungswerte erst gesammelt werden mussten: Wie viele Kühe sind für den ganzen Hof erforderlich? Wie hoch muss der Preis für die Anteile angesetzt werden? Wie viel Ertrag gibt das Land her? Ausserdem musste Infrastruktur wiederaufgebaut und neue Anschaffungen getätigt werden. «Wir waren kribbelig – wird es funktionieren?», blickt Marion auf diese Zeit zurück, «aber so ist es eben in der Landwirtschaft. Es braucht mehrere Jahre bis man den Boden wirklich kennt. Ein Jahr allein reicht nicht als Referenzwert.»

Und es hat funktioniert. Seit drei Jahren rentiert der Hof, nur finanziert über die jährlichen Betriebsbeiträge der Mitglieder und reguläre Subventionen. 95% der Ernte gehen solidarisch weg, der Rest wird direkt ab Hof, an Mitglieder oder Unverpacktläden verkauft. Radiesli wird vorerst bleiben. Das sehen auch die umliegenden Bauern – und interessieren sich zunehmend für Radieslis Ideen. «Wir merken, dass es eigentlich viele Fragen von ihrer Seite gibt», meint Marion und betont, «Wir möchten zukünftig noch mehr in Austausch treten.» Sie erzählt von einem kürzlichen Erlebnis: Nachbarliche Landwirt*innen hätten sie angefragt, ob sie gemeinsam einen Striegel anschaffen wollten – eine Maschine zur mechanischen Unkrautbekämpfung. Sie haben natürlich zugesagt – und sich sehr über die Anfrage gefreut.

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In Bewegung bleiben

Was möchte der Radieslihof in Zukunft für Projekte und Visionen angehen? «Wir sind weiterhin dran, neue Lösungen umzusetzen und zu erproben», sagt Marion und fügt an, dass die aktuellen Herausforderungen in der Landwirtschaft nicht nur die konventionelle Landwirtschaft betreffen. «Der Humus nimmt global stetig ab. Das ist ein Problem, das auch für den Biobauern noch nicht vom Tisch ist», erklärt die Gemüsegärtnerin. Die Erhaltung der Bodenqualität ist den Bewirtschafter*innen dementsprechend ein grosses Anliegen. Ausserdem gilt es auch, mehr Erfahrungen mit den kürzlich angeschafften Hühnern und der noch jungen «Hoschtet» zu sammeln und Verbesserungen umzusetzen. Was für eine langfristige Planung helfen wird: Radiesli plant, in diesem Sommer den Hof zu kaufen. Und was mit Sicherheit stattfinden soll:  das zehnjährige Jubiläum mit einem grossen Fest am vierten und fünften September zu feiern. Es geht viel auf diesem kleinen Hof im Worblental. Und das soll es auch in Zukunft, findet Marion: «Wichtig ist, dass wir in Bewegung bleiben.»