Der Schnelllebigkeit etwas entgegensetzen

von Nicolas Eggen 17. Februar 2021

Seit knapp acht Monaten kann man in Bern nicht nur Kleider kaufen, sondern auch ausleihen.  Mit «TEIL» wagt ein junges Team von Berner*innen, trotz schwierigen Bedingungen in der Corona-Krise, die Gründung eines Kleidergeschäfts mit einem neuen Konzept.

Das Problem kennt wohl jeder und jede: Man kauft sich ein Kleidungsstück, trägt es ein paar Mal, dann verschwindet es irgendwo zuhinterst im Kleiderschrank und einige Monate später landet es mit einem schlechten Gewissen in der Altkleidersammlung, wenn man Platz für neue Kleider schaffen muss. «Uns störte schon lange, dass der Konsum von Kleidung zu einem grossen Teil auf Kosten von Menschen und der Umwelt geht. In TEIL haben wir eine für uns logische Lösung gefunden, damit Kleidung genossen werden kann, ohne dadurch Menschen und die Umwelt zu belasten.», sagt Nadal Gasser, Gesamtkoordinator bei «TEIL». Das Konzept ist einfach: Es gibt drei verschiedene Abos, je nachdem wie viele Kleider man ausleihen will. Diese kann man so lange ausleihen wie man will, nach Gebrauch werden die Kleider gereinigt zurückgebracht.

Die Idee dazu entstand Ende 2018, inspiriert von der «Kleiderei» in Köln trafen sich einige der Gründungsmitglieder von «TEIL» um diese Idee einer «Bibliothek für Kleider» in Bern zu besprechen. Der Trend in der Modeindustrie ist ganz klar einer der Schnelllebigkeit. Pro Jahr erscheinen unzählige neue Kollektionen, so billig wie möglich produziert, meist aus dem billigen Kunststoff Polyester. Zu den berühmtesten und grössten Vertretern von Fast Fashion, wie diese Branche auch genannt wird, gehören die Modehäuser H&M oder Zara. Die Lebensdauer der Kleider wird so immer kürzer, was zu einem immer grösseren Verbrauch an Ressourcen führt. «Wenn die Textilindustrie sich im gleichen Ausmass weiterentwickelt, wird laut der Ellen Mac Arthur Stiftung, deren Umweltbelastung bis 2050 für ¼ des umweltschädlichen CO₂ verantwortlich sein. Bereits heute produziert die Industrie jährlich 1,2 Billionen Tonnen CO₂, was mehr ist als der internationale Flugverkehr und Kreuzfahrten zusammen», so Gasser. «TEIL» will eine Alternative zu dieser Schnelllebigkeit der Modetrends bieten, welche dazu beiträgt, dass Kleider nur sehr kurz getragen und schnell wieder entsorgt werden. «Für TEIL ist das nicht Ausschuss- oder Wegwerf-Ware, sondern eine wertvolle Ressource, die wir nutzen wollen, um den Schaden der Textilindustrie auf Mensch und Umwelt zu minimieren. Mit TEIL führen wir stilvolle und intakte Kleider, die nicht mehr oder nur wenig genutzt werden, wieder ihrem ursprünglichen Zweck zu. Nämlich, dass sie getragen werden», so Gasser.

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Auch laut Greenpeace ist die einfachste Möglichkeit, einen positiven Einfluss auf dieses Problem zu haben: Die Lebensdauer der Kleider zu verlängern, also Kleider länger zu tragen. Dies will auch «TEIL» erreichen. Ihr Konzept zielt auf eine Bewusstseins- und Verhaltensänderung. «Wir sind überzeugt, dass Stil und Abwechslung nicht auf Kosten von Menschen und Umwelt gehen muss», sagt Gasser. Zurzeit ist «TEIL» grundsätzlich froh um Kleiderspenden, denn nur so könne das Konzept funktionieren. «Wir haben aber gewisse Richtlinien, um unserer moralischen Haltung nicht widersprechen zu müssen aber auch, um den Qualitätsstandard des Sortiments Schritt für Schritt erhöhen zu können. So nehmen wir zum Beispiel keine Billig-Marken an wie z.B. Zebra, Tally Weijl, Chicoree u.ä. Die Kleider müssen in gutem und intaktem Zustand sein. Sie müssen frisch gewaschen sein und dürfen keine Löcher oder Flecken aufweisen.» Laut Gasser habe man eine sehr diverse Kundschaft, verbindende Elemente sind: «die Freude an Abwechslung und Nachhaltigkeit. Einige TEILerinnen (so werden die Kund*innen von «TEIL» genannt) wollen aus Prinzip keine neuen Kleider mehr kaufen und haben bei uns die Möglichkeit gefunden, trotzdem nicht zu sehr auf Abwechslung verzichten zu müssen. Andere sehen es als Möglichkeit zuhause eher minimalistisch zu leben und selbst kaum mehr Kleider zu besitzen aber dennoch für die eine oder andere Gelegenheit eine grössere Auswahl an Kleidung zu geniessen. Wiederum andere sehen es als bewusstes Statement gegen den Kleiderkonsum und wollen als TEILerinnen eine Alternative in Bern ermöglichen.»

Die Eröffnung des Ladens am Bubenbergplatz 10 war schwer und auch von der Corona-Krise geprägt: «Wir spüren die Corona-Pandemie, welche die Leute etwas zurückhaltend macht, so dass sie weniger vorbei kommen, um etwas Neues auszuprobieren», erklärt Gasser. Die Rückmeldungen seien sehr motivierend und sie verspüren eine grosse Resonanz. Finanziell sei die Situation aber ziemlich herausfordernd. «Auch gerade weil wir keine Unterstützung durch Staat oder Kantone erhalten. Wir fallen diesbezüglich bei allen Bedingungen durch», sagt Gasser. Wie das Geschäft nach der Corona-Pandemie laufen wird, sei schwierig abzuschätzen. «Wenn aber die Wachstumsprognosen für «Secondhand» und «Sharing Economy» betrachtet werden, sind wir mit TEIL sicher nicht ganz daneben», so Gasser.

Im Moment wird «TEIL» fast ausschliesslich ehrenamtlich betrieben. Als «Volunteer» kann man sich in diversen Bereichen einbringen, momentan werden vor allem Leute gesucht, welche regelmässig den Laden betreuen. Auf die Zukunftspläne angesprochen meint Gasser: «Wir träumen von einer Welt, in der der Konsum von Kleidung nicht auf Kosten von Mensch und Umwelt geht!» Dies wollen sie erreichen, indem sie das Bewusstsein der Bevölkerung hier in Bern verändern. «Wenn Bernerinnen und Berner beim Konsum von Kleidung beginnen kritische Fragen zu stellen, vielleicht, weil sie von TEIL gehört haben, haben wir bereits einiges richtig gemacht», meint Gasser. In den nächsten 5 Jahren, möchte sich TEIL in Bern, als nicht mehr wegzudenkender Player in Bezug auf nachhaltigen Konsum von Kleidung etablieren. «Wir wollen bezahlte Arbeitsplätze in der TEIL Location in Bern schaffen und an mindestens eine weitere Location expandieren. Zudem wollen wir in Zukunft bei TEIL die Möglichkeit bieten, dass Personen durch Arbeitsintegration einen Neu- oder Wiedereinstieg in die Arbeitswelt finden können», so Gasser.