Die alte Kunst des Teilens

von Yannic Schmezer 22. Mai 2020

Wir alle besitzen unzählige Gegenstände, die wir kaum je benutzen. Die «LeihBar» will diesem Ressourcenverschleiss ein Ende bereiten und bietet deshalb nichts zu kaufen an. Im Herbst soll die zweite Filiale in Wabern eröffnen.

Man merke schon, dass die Leute momentan mehr Zeit hätten, erklär Caroline. Gerade habe jemand einen Rasen-Vertikutierer zurückgerbacht, jemand anderes eine Farbpistole. Die Rentnerin steht zusammen mit ihrer jüngeren Kollegin Simone im Innenhof der alten Feuerwehrkaserne Viktoria, wo die «LeihBar», für die sich die beiden ehrenamtlich engagieren, ein Provisorium errichtet hat. Jeweils dienstags und samstags werden hier Kund*innen bedient die sich auch in Zeiten von Home-Office und selbstverordneter Quarantäne gelegentlich etwas leihen wollen. Das eigentliche Ladenlokal im Untergeschoss der Feuerwehrkaserne bleibt bis am 08. Juni geschlossen.

Vieles ist geschenkt

In der Leihbar gibt es nichts zu kaufen. Jedoch kann man gegen einen Beitrag von fünf Franken pro Monat Vereinsmitglied werden und auf ein rund 400 Alltagsgegenstände umfassendes Leiharsenal zurückgreifen. Der Katalog ist online einsehbar und bietet alles vom Beamer bis zur Astschere. Hie und da findet sich auch etwas weniger Alltägliches, wie ein Schokoladenbrunnen. «Der ist besonders gefragt», erklärt Caroline. Am Anfang sei er noch Ladenhüter gewesen, heute aber habe man sogar zwei davon. Die meisten Gegenstände, die in den anthrazitfarbenen Boxen auf einfachen Kellerregalen lagern, stammen aus Schenkungen. Wo man es für nötig halte, kaufe man aber auch mal etwas, sagt Christof Böhler, Mitglied des Vorstands der LeihBar. Das tue man vor allem bei Dingen, die stark nachgefragt seien. Auf einer Liste im Laden und auf der Website können Kund*innen ausserdem aufschreiben, welche Gegenstände sie sich im Sortiment der LeihBar noch wünschen.

Die LeihBar wurde 2018 als Projekt der Stiftung für Konsumentenschutzes gegründet und im März 2019 an ein Team aus Freiwilligen abgegeben, das die «Bibliothek der Dinge», so die Selbstbezeichnung der LeihBar, bis heute führt. Als erster Verleihladen der Schweiz will die LeihBar dem Konsumwahn mit der alten Kunst des Teilens entgegentreten. «Wir kaufen und besitzen unzählige Gegenstände, die wir selten oder nie brauchen», sagt Böhler. Der dadurch entstehende Ressourcenverschleiss sei enorm und könne durch das Teilen bestimmter Gegenstände stark reduziert werden. «Die meisten unserer Mitglieder wollen mit ihrem alltäglichen Handeln etwas positives bewirken», erklärt Böhler. Dass dabei auch noch das Portemonnaie geschont werde, sei ein angenehmer Nebeneffekt, stehe aber selten im Zentrum.

Eine Frage der Sozialisation

Verleihläden gibt es mittlerweile in der ganzen Schweiz. In Basel hat dieses Jahr zum Beispiel das «Leihlager» eröffnet, in Genf «La Manivell». Die Geschäfte werden unabhängig voneinander betrieben, stehen aber in engem Kontakt zur LeihBar. So würde man neuen Geschäften etwa beim Verfassen der Vereinsstatuten unter die Arme greifen oder ihnen bei der Wahl der Software helfen. Die Onlinekataloge der Läden gleichen sich deshalb oft auch wie ein Ei dem anderen. Die LeihBar selbst strebt derzeit die Expansion an: Geplant ist ein Standort in Wabern, der im kommenden Herbst eröffnen soll. Man hofft damit auch Menschen ausserhalb des Stadtzentrums und des Nordquartiers, die derzeit die überwiegende Mehrheit der Mitglieder ausmachen, zu erreichen.

Und trotzdem: leihen statt kaufen ist immer noch ein Randphänomen. Weshalb wollen wir lieber haben als teilen? Das sei wohl eine Frage der Sozialisation, findet Böhler und fügt an: «Letztlich gilt Eigentum in unserer Gesellschaft immer noch als Statussymbol.» Wer viel habe, sei jemand. Sich davon zu lösen, das könne anstrengend sein. Der Sharing-Economy, also dem auf Teilen basierenden Wirtschaften, sagt Böhler trotzdem eine gute Zukunft voraus. Mit Uber und co., den Aushängeschildern derselben, möchte Böhler aber nicht in einen Topf geworfen werden: «Der Gewinn spielt bei uns keine Rolle, uns geht es um Nachhaltigkeit.»