Gummischrot und Verantwortung

von Yannic Schmezer 6. März 2018

Der Einsatz von Gummischrot ist gefährlich. Ein Video, das vor der Reitschule aufgenommen wurde, legt nahe, dass die Polizei nicht immer einen verantwortungsvollen Umgang damit pflegt.

Bereits vor einigen Wochen wurde im Umfeld der Reitschule ein Video veröffentlicht, das einen Polizeieinsatz im Restaurant Sous le Pont in der Reitschule zeigte und ein relativ breites Medienecho bewirkte. Anders ein zweites Video, das einen Polizeieinsatz vom 21. Februar auf dem Vorplatz der Reitschule zeigt. Im Schatten der Ankündigung, die Reitschule wolle nun Eingangskontrollen einführen, um DealerInnen und Polizei den Zutritt zu verwehren, blieb es komplett unter dem Radar der lokalen Medien.

Zielen ins Gesicht

Im Video ist eine Festnahme zu sehen, die sich unter der Eisenbahnbrücke auf den Vorplatz der Reitschule abspielt. Gemäss den Angaben der Reitschule handelt es sich bei der festgenommenen Person um einen eigenen Mitarbeiter. Die Festnahme selbst lässt sich anhand des Videos nicht beurteilen, es fehlen entscheidende Minuten zu Beginn der Aufnahme. Insgesamt scheint das Vorgehen der Polizei aber nicht ungewöhnlich. Zwar kniet einer der beiden anwesenden Polizisten dem vermeintlichen Delinquenten auf dem Rücken, weitere Handgreiflichkeiten sind jedoch nicht erkennbar. Als polizeiliche Verstärkung eintrifft, betritt eine mit Gummischrotgewehr bewaffnete Polizistin den Vorplatz. Umgehend zielt sie dem Kameramann damit aus nächster Nähe direkt ins Gesicht, als dieser sie filmt.

Gefährliche Prismen

In der Vergangenheit kam es immer wieder zu teils schweren Verletzungen durch den Einsatz von Gummischrot. Schon mehrfach haben Personen dadurch ihr Augenlicht ganz oder teilweise verloren, beispielsweise an der «Tanz dich Frei»-Kundgebung im Mai 2013 oder zuletzt während den wüsten Ausschreitungen nach einem Heimspiel des FC Basel gegen den FC Zürich im April 2016. Weil die prismenförmigen Projektile eine grosse Streuwirkung haben, ist das Zielen auf grössere Distanzen praktisch unmöglich. Die Vereinigung unabhängiger Ärztinnen und Ärzte (VUA), eine Vereinigung politisch links orientierter Ärztinnen und Ärzte, gab gegenüber der bärner studizytig an, dass bei einer Schussdistanz von 20 Metern mit 35-prozentiger Wahrscheinlichkeit ein Auge getroffen wird.

Für die Polizei hat der Einsatz von Gummischrot den klaren Vorteil, dass potentielle GefährderInnen auf Distanz gehalten werden können. Anders als die schweizer Polizeikorps kann die deutsche Polizei nicht auf die praktische Distanzwaffe zurückgreifen, denn der Einsatz von Gummischrot ist in den meisten Bundesländern verboten. Interessant: Die beiden grössten deutschen Polizeigewerkschaften vertreten eine diametral andere Meinung bezüglich des Einsatzes von Gummischrot. Während sich die rund 94’000 Mitglieder starke deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) immer wieder öffentlich für die Legalisierung von Gummischrot einsetzt, stellt sich die doppelt so grosse Gewerkschaft der Polizei (GdP) entschieden dagegen. In einer Demokratie seien Schwerverletzte oder Tote, wie es sie beim Einsatz von Gummigeschossen geben könne, nicht hinnehmbar, argumentiert die GdP.

Im Berner Stadtrat verlangt Rolf Zbinden (PdA) 2007 zuletzt ein Verbot der Gummigeschosse. Dies unglücklicherweise nur Monate vor der Überführung der Stadtpolizei in die Kantonspolizei. Der Gemeinderat erklärte sich folgerichtig für nicht zuständig. Der Grosse Rat, dem die Kantonspolizei jetzt seit 10 Jahren unterstellt ist, lässt indessen keinen politischen Willen erkennen, der auf ein Verbot der gefährlichen Distanzwaffe hindeuten würde. Stattdessen wird eine polizeiunkritische Law & Order Politik verfolgt – was bei der bürgerlichen Mehrheit im Kantonsparlament auch nicht verwundert.

Verantwortungsvoller Umgang?

Szenen wie jene aus dem Video legen nahe, dass Polizistinnen und Polizisten nicht immer bewusst ist, welch gewaltsames Instrument sie in den Händen halten, wenn sie mit einem Gummieschrotgewehr hantieren. Dominik Jäggi, Mediensprecher der Kantonspolizei Bern bestätigt auf Anfrage den im Video festgehaltenen Polizeieinsatz, will ihn aber nicht weiter kommentieren, «da solche Videos auch jeweils nur einen Ausschnitt aus dem Gesamtkontext eines Einsatzes zeigen.» Und weiter: «Die Polizistin trug das Mittel bei sich, da in der vorliegenden Situation eine Eskalation bzw. ein Angriff der umstehenden Personen nicht ausgeschlossen werden konnte.» Ausserdem, betont er, sei der Einsatz aus Sicht der Kantonspolizei verhältnismässig gewesen.

Verhältnismässigkeit bedeutet im Recht immer auch, dass von allen möglichen Mitteln das mildeste eingesetzt wird. Die von der Polizistin ergriffene Massnahme, also das Drohen mit dem Gummischrotgewehr auf Kopfhöhe, lässt sich indessen kaum als mildestes Mittel auslegen, zumal auch keine Eskalation oder Gefährdung drohte, der damit hätte begegnet werden können. Es ist deshalb irritierend und enttäuschend, dass die KaPo nicht willens ist, diese offensichtlich unverhältnismässige Drohung mit Gefährdungspotential als solche zu benennen und Besserung zu versprechen. Die grundsätzliche Legitimität des Einsatzes von Gummischrot ist eine Sache, der verantwortungsvolle und verhältnismässige Umgang damit eine andere.