Stapine u Presine im Kanton Bern

von Mo Hager 16. August 2017

Zwei Stadtbernerinnen machen sich auf den Weg, um alle Berner Gemeinden zu besuchen, die von Frauen regiert werden oder wurden. Nach vier Tagen kehren sie zurück mit 103 Ortsschildern in digitaler Form.

Nach der Wahl des 17. Stadtpräsidenten von Bern zu Beginn des Jahres wollen es zwei Stadtbernerinnen genau wissen: Gibt und gab es denn im Kanton Bern Stadt- und Gemeindepräsidentinnen, also «Stapine u Presine», und wenn ja, wo und wie viele? Die Anfrage bei den Gemeinden zeigt, und das bei einer Rücklaufquote von über 50 Prozent, dass von den 351 Berner Gemeinden über 100 mindestens einmal von einer Frau regiert worden sind. Aktuell amten in 57 Gemeinden Präsidentinnen. Die beiden Stadtbernerinnen nehmen sich ein künstlerisch-politisches Forschungsprojekt vor und stellen Journal B freundlicherweise Notizen und Bildmaterial zur Verfügung.

Bienvenu chez les Welschs

«Ausgerüstet mit Stiefeln und Schirm brechen wir am ersten Tag in Richtung Berner Jura auf. Unmittelbar nach der Stadtgrenze legen wir in Wohlen unseren ersten Zwischenhalt ein. Nach der Kaffeepause in Büren an der Aare versiegen bereits die Regentropfen. Die sich im Umbau befindliche Brücke über die Aare in Orpund zwingt uns zu einem Umweg. Nach Nidau und Leubringen/Evilard geht’s durch die Taubenlochschlucht in den Berner Jura. In der an die Kantone Jura und Solothurn angrenzenden Gemeinde Crémines betreten wir mittags eine Gaststätte. Die anwesenden Gäste, vermutlich Arbeiter aus dem Ort, blicken uns neugierig an – Personal inklusive. Gestärkt durch die bodenständige Mahlzeit brechen wir auf in Richtung Seeland. Mittlerweile herrscht wieder richtig sommerliches Wetter, und wir geniessen atemberaubende Aussichten auf den Bielersee. An dessen Südseite besuchen wir von Erlach bis Ipsach zehn aktuell oder ehemals weiblich präsidierte Gemeinden. Nach einem Abstecher in die Exklave Münchenwiler finden wir uns zum Feierabendbier in Laupen ein, wo bereits 1979 Präsidentin Silvia Kambel amtete. Wir sind äusserst zufrieden, das erste Etappenziel erreicht zu haben: In 12 Stunden haben wir 370 Kilometer zurückgelegt und 35 Ortsschilder fotografiert.»

Im Oberland den Naturgewalten trotzen

«Heute dauert es eine geschlagene Stunde, bis wir an unserer ersten Destination, Wilderswil, ankommen. Es regnet ernsthaft, und wir sind froh, zu zweit unterwegs zu sein, denn so kann sich die eine auf den Regenschirm und die andere auf die Kamera konzentrieren. Den Gemeindepräsidentinnen gefällt es im Oberland offenbar, an entlegenen Orten zu wirken. Warum gerade Innertkirchen? kommen wir nicht umhin zu fragen, nachdem wir uns bis zur Aareschlucht hinaufmäandriert haben. Herbstlich ist es, und Nebel hängt über der Ebene. Wir kehren wieder um und fahren nach Meiringen. Beim Ablichten des Ortsschilds in Hasliberg ist mir etwas unwohl, da ich in einer Kurve am Fels stehe – zum Glück macht sich das Sommerloch auch im Verkehrsaufkommen bemerkbar. Nach einem Abstecher nach Spiez und Aeschi machen wir uns auf den langen Weg zu den Ortsschildern von Kandersteg und Zweisimmen; es schüttet wie aus Kübeln, und zuweilen kommen wir nur im Schritttempo vorwärts. Tapfer arbeiten wir uns sodann via Gürbetal (Kirchenthurnen, Toffen) und Längenberg (Rüeggisberg) bis nach Rüschegg vor und vernehmen derweil, dass der Mann mit der Motorsäge noch immer flüchtig sei, tauschen uns aus über unsere Erinnerungen an den vor wenigen Tagen verstorbenen Polo Hofer, über Erlebnisse im Zusammenhang mit der Region und reden über Gott und die Welt. Just vor dem Eintreffen des Gewitters haben wir in Allmendingen bei Bern unser letztes Ortsschild aufgenommen. Abgekämpft beenden wir die heutige Route. Obwohl wir 416 Kilometer gefahren sind und 23 Ortsschilder gesammelt haben, ist die Arbeit noch nicht zu Ende, will doch das neue Material abgelegt und die morgige Route geplant sein.»

Sonntagsfahrt im Oberaargau

«Wir starten in Richtung Roggwil, das wir nach einem Zwischenhalt in Bäriswil im Mittelland erreichen, und rollen den Oberaargau quasi von Norden nach Süden ab. Erstaunt nehmen wir zur Kenntnis, dass zwei Nachbargemeinden den Namen Walliswil tragen, die eine bei Niederbipp und die andere bei Wangen, mit der Aare als natürliche Grenze. Beschaulich lässt sich die heutige Fahrt an; liegen doch die Destinationen je in angenehmer Entfernung zueinander. Es macht ganz den Anschein, als genössen sämtliche Pferde der Region Auslauf. Verschiedentlich halten wir an, um nebst den Ortsschildern auch die Landschaft zu fotografieren. Wären da nicht die unterschiedlichen Dimensionen, man wähnte sich mitunter auf einem Highway, flankiert von Feldern in grünen und strohgelben Farben, der Jahreszeit entsprechend. Die durch den Menschen gestalteten Verbindungswege prägen unsere Route ähnlich wie Flüsse und Gebirgsketten, und so besuchen wir im Potpourri der Verwaltungskreise zwischen der A6 (Bern-Biel) und der A1 (Bern-Olten) die seeländischen Leuzigen und Rapperswil, das dem Emmental zugehörige Aefligen, weiter das mittelländische Wiggiswil mit seinem verwunschenen Ortsschild, ferner Münchenbuchsee und Moosseedorf. Bis nach Bolligen ist es nun e churze Chut, und diesmal heisst es schon am Nachmittag: Bis morn am sibni!»

Das Emmental: ein richtiger Trip

«Versierte Ortsschildersammlerinnen, die wir mittlerweile sind, nehmen wir uns viel vor für den letzten Tag, gilt es doch, zusätzlich zu den von Frauen regierten Gemeinden des Emmentals die rechts und links liegen gelassenen des Aaretals sowie einzelni ugradi im Oberaargau einzusammeln. Interessanterweise haben wir heute mehrere, zum Teil durch grössere Distanzen getrennte Gmeindetrübu anzupeilen; und das schon zu Beginn. Um die Jabergbrücke herum raglets nume so vo Presine, und vielerorts können wir das Ortsschild gleich von beiden Seiten ablichten – zwo Presine uf ei Schlag. Da pro Ortsschild dreieinhalb Minuten einkalkuliert sind, eilen wir unserem Plan voraus und können auch das auf unserer Route eher ungünstig gelegene Heimenschwand (Hauptort der Gemeinde Buchholterberg) besuchen. Noch vor dem Zwischenhalt in Trubschachen, nämlich zwischen Röthenbach und Zäziwil, erleben wir eine Geländeabfolge, die sich mehrfach wiederholen wird: Entlang von grünen Weiden und stoppeligen gelben Feldern führt der Weg alsbald hinauf in einen Wald, und schon wähnt man sich eher auf einem Wanderweg denn auf einer Strasse. Nach nicht allzu langer Zeit ist der höchste Punkt erreicht, und es geht wieder abwärts. Beim Übergang ins freie Gelände bietet sich zumeist ein berauschender Ausblick, und – Lueg! – ein Mäusebussard kreist tief über der saftigen Wiese, sodass sein braun gemustertes Gefieder von oben zu bestaunen ist. Bei aller Verzückung entgeht uns später nicht, dass wir bereits zum zweiten Mal durch Huttwil – dessen Ortsschild wir doch bereits im Trübu mit Eriswil, Auswil und Rohrbach ablichten durften – fahren, wenn auch in entgegengesetzter Richtung. Als wir schliesslich zum dritten Mal – der Tag ist mittlerweile weit fortgeschritten – nach ebendiesem Ort abzweigen, kann der Eindruck, sich im Kreis zu drehen, nicht mehr abgeschüttelt werden, und es bleibt nur noch das fatalistische Vertrauen ins Navigationsgerät. Die Krönung der wundersamen Irrfahrt findet nach dem Trübu Burgdorf, Oberburg, Heimiswil im oberaargauischen Roggwil statt, dessen Ortsschild wir mitnehmen, nachdem wir einige hundert Meter auf Luzerner Boden zurückgelegt haben, nur um später festzustellen, dass es doch bereits am Vortag in die Sammlung aufgenommen worden war, nämlich als wir den Ort aus Berner Richtung erreicht hatten. So haben wir der amtierenden Marianne Burkhard doppelte Ehre erwiesen und die restlichen 25 Ortsschilder allen orientierungsmässigen Tücken zum Trotz ins Trockene gebracht.»

Ländliche Gemeinden haben die Nase vorn

Nach vier Tagen, gut 1300 Strassenkilometern und dem Ablichten von 103 Ortsschildern sind die beiden Stadtbernerinnen um eine Einsicht weiser: Um auf «Stapine u Presine» zu stossen, müssen sie lediglich das Hauptstadtgebiet verlassen. Fündig werden sie auch in Gemeinden mit hauptamtlichem Präsidium; in Spiez amtet Jolanda Brunner, und in der Vergangenheit wirkten Elisabeth Zäch in Burgdorf, Elsbeth Maring-Walther in Münchenbuchsee und Agnes Im Obersteg Sauser in Wohlen. Das Präsidium kann ein Sprungbrett für den politischen Werdegang sein – selbst in einer kleinen Gemeinde. So verdiente sich die Berner Finanzdirektorin Beatrice Simon ihre Sporen unter anderem als Präsidentin von Seedorf ab. Mit bisher drei Präsidentinnen sind die Gemeinden Plateau de Diesse und Walliswil bei Niederbipp einsame Spitze. Nicht wenige Gemeinden wurden schon zweimal von einer Frau geführt, so etwa Bolligen, Kehrsatz, Toffen, Trachselwald, Walliswil bei Wangen, Petit-Val und Arch. Und in ganzen 44 Gemeinden ist in der laufenden Amtsperiode erstmals eine Präsidentin im Amt. Das stimmt zuversichtlich: Die Sammlung von 103 Ortsschildern wird schon bei den nächsten Erneuerungswahlen überholt sein, und es wird immer weniger blinde – sprich «presinelose» – Flecken in der Berner Gemeindelandschaft geben; hoffentlich auch in den grossen Zentren. Bleibt noch die Frage, was die beiden Stadtbernerinnen mit der Ortsschildersammlung vorhaben…