Durchgangszentrum Bern-Viktoria geht auf

von Fredi Lerch 17. September 2015

Am nächsten Montag ziehen die ersten Flüchtlinge in das Durchgangszentrum am Viktoriaplatz ein. Obschon der Gemeinderat erst letzte Woche entschieden hat, statt 100 Flüchtlingen deren 150 aufzunehmen, ist man parat.

Am Montag, 21. September, treffen die ersten Asylsuchenden in der «Kollektivunterkunft Bern-Viktoria» ein, die von der Heilsarmee Flüchtlingshilfe geführt werden wird. Angesichts der schwierigen Lage im Flüchtlingsbereich hat der Gemeinderat letzte Woche kurzfristig entschieden, die Kapazität des Durchgangszentrums im ersten Stock der alten Feuerwehrkaserne am Viktoriaplatz von 100 auf 150 Plätze zu erhöhen. Martin Trachsel, der Heimleiter, rechnet damit, dass die Unterkunft in vier bis sechs Wochen voll ausgelastet sein wird. Denn mehr als zwanzig Neuankömmlinge pro Tag sollen es wenn möglich nicht werden: «Sonst wird’ s stressig.»

Vorbildlich trotz der Bürokratie

An einer Medienorientierung vor Ort hat der städtische Finanzdirektor Alexandre Schmidt heute noch einmal die Vorgeschichte rekapituliert und nicht ohne Ressentiment festgehalten: «Die Erfahrungen mit Umnutzungen, Baubewilligungen und Mietverhandlungen zeigen: Zwischennutzungen gehen leider nicht von heute auf morgen. Die Bürokratie ist auch hier bestens eingenistet.» Und er hat beigefügt: «Ohne grosse prophetische Fähigkeiten fürchte ich, dass dies auch für weitere angedachte Asylunterkünfte, wie jene im Zieglerspital, gelten könnte.»

Franziska Teuscher, Direktorin für Bildung, Soziales und Sport, gab ihrer Freude darüber Ausdruck, was am Viktoriaplatz möglich geworden ist: «Das Durchgangszentrum hier ist für mich ein Vorbild und Massstab für künftige Asylunterkünfte: in der alten Feuerwehr werden die Asylsuchenden an einem Ort des Lebens und des Austausches untergebracht. Mitten unter uns, oberirdisch und nicht unter dem Boden ohne Tageslicht. Bereits seit Wochen arbeiten das Quartier, die Heilsarmee und die Zwischennutzenden der Feuerwehrkaserne sehr gut und intensiv zusammen. Die Solidarität in der Bevölkerung ist gross. Ich bin zuversichtlich, dass dieses Konzept funktionieren wird.»

Fast alles ist parat für die Flüchtlinge

«Bern Viktoria» ist eines von zwölf Asylzentren, das die Heilsarmee Flüchtlingshilfe im Kanton Bern im Moment betreibt. In einigen Tagen komme in Wohlen ein weiteres dazu, sagt Dominik Wäfler, der Heilsarmee-Zuständige für die «Kollektivunterkünfte» – «und, so hoffen wir, bald auch im Zieglerspital in Bern».

Trachsel rechnet am Viktoriaplatz mit Einzelpersonen und Familien aus Eritrea, Somalia, Syrien, Afghanistan, Iran, Pakistan, der Türkei, der Ukraine, sowie West-, Zentral- und Nordafrika.  Betreut werden die Leute von einer Sozialanthropologin, einer Sozialarbeiterin, einer Krankenschwester, einem Handwerker, einem Sportlehrer, einem Spezialisten für Wirtschaftsrecht sowie von Zivildienstleistenden und SprachexpertInnen. Zuständig ist dieses interdisziplinäre Team, so Trachsel, «für den Betrieb und die Asylverfahren, für Anleitung, Coaching, Kontrolle, individuelle psychosoziale Begleitung sowie für gesellschaftliche und berufliche Integration». Verpflegt wird selbstständig. Für das Essen und den persönlichen Bedarf steht jeder Person pro Tag 9 Franken 50 zur Verfügung.

Die kurze Führung durch die Gänge zeigt: In den Räumen für die zusätzlichen fünfzig Flüchtlinge fehlen noch die Betten, aber sonst ist alles vorbereitet: ein Schulzimmer für den Sprachunterricht, ein grosser Aufenthaltsraum mit einer Kochplattenbatterie, blitzblanke sanitäre Anlagen – bloss die Seifenschalen sind offensichtlich demontiert: Über den Lavabos ziert eine schnurgerade Reihe von Löchern die Wand. Die habe man auf Weisung der kantonalen Denkmalschutzexperten demontiert. Ach ja, denkt man, die wollen halt zur Linderung der humanitären Katastrophe auch ihren Beitrag leisten.

Wenn Ende November alle Zwischennutzenden in der alten Feuerwehrkaserne zum Tag der offenen Türe einladen, will auch das Durchgangszentrum mitmachen. Mag sein, dannzumal wird man am Viktoriaplatz Menschen aus aller Welt begegnen, die sich schon fast ein klein wenig zuhause fühlen.