Das Ende nach 31 Jahren

von Eva Matter 15. April 2014

Seit 1983 führt Daniel Lehmann seine Metzgerei in der Länggasse; nun sucht er einen Nachfolger. Mit Eva Matter hat er sich über den Metzgerberuf unterhalten und darüber, wie sich das Quartier in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat.

Schon Lehmanns Eltern haben an der Neufeldstrasse 32 im Länggassquartier eine Metzgerei geführt und die Grosseltern hatten eine Metzgerei im Emmental. Nun denkt Daniel Lehmann ans Aufhören. Denn erstens ist er im AHV-Alter und zweitens wolle er einmal richtig Ferien machen.

Weil die Metzgerei gut läuft, möchte er das Geschäft nicht einfach schliessen: «Ich könnte sie einem Nachfolger übergeben, der eine Existenz hätte, wenn er den gleichen Einsatz und die gleiche Freude zeigt wie ich.» Deshalb ist er an den Metzgerverband gelangt. Über diesen erhielt er Kontakt zum «Beobachter TV», einer Kooperation des Fernsehens SRF mit der Zeitschrift «Beobachter». Und so wird Lehmann bei der Suche nach einem Nachfolger von einem Kamerateam begleitet.

Einzigartiges Angebot

«Hinter meiner Metzgerei steht eine Grundidee und die ist gut», sagt Lehmann mit Überzeugung. Er setzt ganz auf das Charolais-Rind. Diese Rinderrasse aus dem Südburgund (der Region Charolais) verfügt über eine AOC-Anerkennung, also eine geschützte Herkunftsbezeichnung. Die Anforderungen daran sind äusserst hoch.

Dreissig Jahre habe er an der Idee gearbeitet, dieses Fleisch in die Schweiz zu importieren. Dass es ihm gelang, alle bürokratischen Hindernisse zu überwinden, erfüllt ihn mit Stolz.

Kurze Wege und eigene Würste

Rind, Kalb, Schwein und Lamm kauft Lehmann praktisch ausschliesslich in ganzen Tierkörpern. Darum könne er als Metzger noch immer am Morgen in den Spiegel schauen, sagt er. Die Schweine bezieht er seit dreissig Jahren einzig vom Landwirt Hans Pfäffli aus Bangerten. Im Nachbardorf werden die Tiere in einer der selten gewordenen kleinen Metzgereien geschlachtet, wo Lehmann sie abholt. Ganze geschlachtete Kälber wiederum liefert Metzger Küng aus Toffen.

All das sei zwar recht umständlich und kostspielig, sagt Lehmann, aber nur auf diese Weise sei er sicher, dass die Tiere keinen langen Weg zur Schlachterei haben. «Die Alternative, eine Grossmästerei oder Grossschlachterei, das käme für mich nicht in Frage».

Konsequenterweise ist Lehmanns Angebot auf die Verwertung des gesamten Tiers ausgerichtet: «Wenn ich keine Schweinefilets mehr habe, dann habe ich eben keine mehr.» Fleischabschnitte, die beim Zerschneiden anfallen, verwendet er für die Charcuterie, sein zweites Standbein. Er stellt alle Würste selber her und hat für diese auch schon Preise erhalten. Deren Bedeutung will er allerdings nicht überbewerten: «Damit zeige ich einfach, dass ich Freude am Beruf habe.»

Der Strukturwandel in der Länggasse

Die Entwicklung von Lehmanns Geschäft spiegelt den tiefgreifenden Strukturwandel der Branche. Als seine Eltern angefangen haben, gab es in der Länggasse 15 Metzgereien (und doppelt so viele Bäckereien); die Migros verkaufte damals noch kein frisches Fleisch. Der Betrieb war daher vor dreissig Jahren viel grösser: «Ich hatte eine Filiale am Bahnhof, eine im Breitenrain und dazu noch das Restaurant mit ungefähr dreissig Angestellten.»

Heute betreibt Lehmann nur noch den Laden und sagt, dass es ihm so lieber sei, denn er sei eher Handwerker als Befehlsgeber und Verwalter.

1973, als das grosse Zähringer-Migros eröffnet wurde, gingen die Metzgereien in der Länggasse auf breiter Front ein. Nur zwei haben bis heute überlebt (Lehmanns Geschäft und die Metzgerei Wegmüller); die taugten wohl etwas, bemerkt er zu diesem Umbruch. Seine Eltern versuchten damals, mit dem Neubau des Hauses an der Neufeldstrasse 32 der Migros etwas entgegenzuhalten. Das Geschäft sollte modernisiert werden, erklärt er, der damaligen Zeit gemäss.

Neue Einkaufsmuster

Auch der weitere Wandel der Länggasse ging nicht spurlos an der Metzgerei vorüber. Die Arbeiterfamilien von Von Roll, Tobler oder von Kümmerli & Frei assen viel Fleisch, als sie zu etwas Wohlstand kamen.

Später machte sich die Universität breit – eher zum Nachteil der Detailhändler, wie Lehmann sagt: «Die Studenten haben keine Zeit zum Kochen, sondern verpflegen sich in der Mensa, die durch andere beliefert wird.»

Gleichzeitig alterte das Quartier. «Es gab einen Moment lang Mehrfamilienhäuser mit zehn Parteien, die ausschliesslich von Witwen bewohnt waren», erinnert sich Lehmann. Heute stehen vor den gleichen Wohnhäusern Dutzende von Velos, denn nun wohnen dort Familien oder Studenten in einer WG. Die meisten von ihnen holten das Fleisch aber beim Grossverteiler. «Am Preis kann es nicht liegen», sagt er mit Überzeugung. Aber so seien eben heute die Einkaufsmuster.

Keine Wurst ab Stange

Werten will Lehmann diese Entwicklung nicht: «Ich kann das nicht beeinflussen. Als KMU-Betreiber muss ich aber schauen, dass ich eine Lösung für mein Geschäft finde.» Dies ist ihm gelungen. Mit dem Angebot von Charolais-Rind spricht Lehmann auch auswärtige Kunden an. Sie kommen sogar aus Thun, um bei ihm das Fleisch zu kaufen, wie er erzählt.

Er fürchtete, dass die Verkehrsberuhigung nach der Eröffnung des Neufeld-Tunnels diesen auswärtigen Kundenstrom gefährden würde. Deshalb hat er das Geschäft noch einmal neu ausgerichtet: Neben der Laufkundschaft  beliefert Lehmann heute eine Reihe von Restaurants mit Fleisch und Charcuterie. Dazu gehören die Brasserie Bärengraben, das Moléson, das Alte Tramdepot und die Innere Enge. Das seien gute Kunden. Gerade mit seiner Charcuterie liefere er einen Mehrwert gegenüber der Wurst ab der Stange: «Wer eine Wurst verlangt, die 135 Gramm wiegt und extra viel Kümmel drin hat, bekommt sie von mir.»

Verkehrsberuhigung – ohne Poller

Dass die Verkehrsberuhigung das Quartier enorm aufgewertet hat, bestreitet Lehman nicht. Auch seine Liegenschaft habe an Wert gewonnen. Er mache in den oberen Stockwerken gut, was er unten im Laden verliere.

Er selber trug die Verkehrsberuhigung zunächst auch aktiv mit (für die FDP von 1980 bis 1988 im Stadtrat). Er wisse noch genau, wie vor dem Bau der Autobahn der gesamte überregionale Schwerverkehr durch die Neufeldstrasse geführt wurde, weil sich das Lindenhofspital gegen den Lärm an der Bremgartenstrasse wehrte. Zweimal habe er einen Unfall mit einem Kind miterlebt.

Zu solchen Verhältnissen will Lehmann nicht zurückkehren. Er ist auch nicht gegen eine Tempo-30-Zone. Nur gegen die Poller auf der Neufeldstrasse wehrt er sich vehement. Diese Lösung betrachtet er als einen faulen Kompromiss zwischen den Bürgerlichen, die sich nur darum sorgten, dass die Innenstadt dank dem Neufeld-Tunnel für den Verkehr erreichbar bliebe, und den Links-Grünen, die im Gegenzug die Verkehrsberuhigung der Länggasse forderten. Dazwischen fanden die Anliegen des Gewerbes im Quartier kein Gehör, sagt er – und freut sich, dass die Poller in der Neufeldstrasse nach wie vor nicht aufgestellt worden sind.

Wenig Nachwuchs

Die Suche nach einem Nachfolger für die Metzgerei gestaltet sich nicht leicht. Zwar käme einer seiner beiden Söhne dafür in Frage, aber dieser habe nach der Metzgerlehre die Berufsmatur gemacht und sei mittlerweile fast zu gut ausgebildet: «Man muss ja nicht gut Englisch können, um hier an der Theke Fleisch zu verkaufen.».

Es gebe schlicht zu wenig qualifizierte Absolventen: Von den rund 1200 unabhängigen Metzgereien werden schweizweit jedes Jahr etwa 50 altershalber aufgegeben. Gleichzeitig beginnen jährlich nur 15 bis 20 Lehrabsolventen eine höhere Berufsbildung. Und diese werden nach abgelegter Meisterprüfung von der Industrie mit offenen Armen empfangen.

Dabei ist sich Lehmann sicher, dass es sich lohnen würde, seine Metzgerei weiter zu führen: «Es gibt ja viele Metzgereien, die sich zu wenig am Markt orientiert haben. Ich bin aber überzeugt, dass ich gut aufgestellt bin. Das Geschäft würde es verdienen, dass es weitergeht.»