Pneus und Kunst in Niederwangen

von Christian Pauli 15. November 2013

Zwanzig Kilometer südlich von Bern liegt Hinterfultigen. Wohin kann es einem verschlagen, wenn man dorthin fährt? Nach Niederwangen, schreibt Christian Pauli im zweiten Teil seiner «Versuche zur Landkultur».

Von Bümpliz kommend fahre ich nach Niederwangen. Von dort gibt es einen schmalen Schleichweg über die sanften Hügel hinter Bern via Herzwil und Liebewil Richtung Nieder- und dann Oberscherli und schliesslich immer weiter nach Niedermuhlern, Rüeggisberg und so weiter, entlang dem Längenberg, bis in Hinterfultigen – die Hügel sind jetzt ruppiger geworden – die Strasse endet: Sackgasse.

Es ist schon dunkel und an der langen Strasse durch Niederwangen reihen sich die Tankstellen und Imbissstände. Ich bin auf der Suche nach einem Kunstort, eine Art Zwischenstopp auf dem Weg in die ländliche Einsamkeit. Es Freitagabend, und ich sehne mich nach dem Holzfeuer, nach Ruhe und Wärme, nach Abstand und Ausblick. Aber eben: zuerst Kunst.

Hier fleddert die Stadt aus. Und wirkt urbaner und reeller als manch ein Ort in der Innenstadt.

Christian Pauli

Zone Contemporain nennt der Pneuhändler Oliver Fahrni seine Dachbebauung, die er auf das von seinem Vater geerbte Firmengebäude bauen liess. 400 Quadratmeter misst die Zone. Hoch oben schweift der Blick über die Industriezone entlang der Schlagadern von Bahn und Autobahn. Leuchtreklamen tauchen die Szenerie in grelle Farben.

Hier fleddert die Stadt aus. Und wirkt urbaner und reeller als manch ein Ort in der Innenstadt. Während sich unten die Pneus stapeln, wird oben im offenen Dachgeschoss Kunst ausgestellt. Ein hell erleuchtetes, in Glas gewandetes Treppenhaus führt hinauf.

Pneuhändler Fahrni – nicht zu verwechseln mit dem Gewerkschafter und Journalisten Oliver Fahrni – ist gerade daran, sein Kunstgeschichte-Studium zu beenden. Ein interessanter und, wie man so sagt, umtriebiger Mensch. Fahrni hat Gartentor geladen. Auch dieser zäumt die Kunst vom Rand aus auf.

In Horrenbach weit oberhalb von Thun residiert Heinrich Gartentor und wenn er nicht gerade das Wetter von seiner Terrasse aus fotografiert und auf Facebook postet, mischt er die Kunstszene mit Aktionen und Ausstellungen auf. Ich würde sagen, Gartentor ist einer der wenigen ernstzunehmenden volkstümlichen Künstler der Gegenwart.

Gartentor ist einer der wenigen ernstzunehmenden volkstümlichen Künstler der Gegenwart.

Christian Pauli

In der Zone hat er seine Installation «Gartentor Golf, bestehend aus Rasenteppich, Euro-Paletten, Reifen, Holz, Rollwagen und Videos» aufgebaut. Mitmachkunst. Wer das Loch trifft, darf sich die Videos anschauen, die Gartentor in diese künstliche Landschaft vergraben hat. Hier sind es weniger Paletten, die diesen Kunstfuchsbau bestreiten, sondern Pneus.

Ich verzichte auf den Abschlag, und mache mich auf dem Weg, in der Hoffnung dem Regen zu entgehen. Vergeblich. In Niederscherli muss ich das Regenkombi anziehen. Derweil kurvt Gartentor mit Familie bereits heimwärts und Oliver Fahrni erläutert in seiner Zone sein Leben zwischen Pneus und Kunst.