August Macke in Thun

von Dorothe Freiburghaus 18. Juli 2013

Nicht allzu weit von Bern: für ein kleines Museum eine grosse Kiste.

August Macke ist nicht einer meiner bevorzugten Maler. Mit dieser Schau aber kann er es werden. Das Kunstmuseum Thun geht auf packende Art dem Verhältnis August Macke und die Schweiz nach. Dank hundert und mehr Leihgaben leben die wenigen Monate des Schaffens von August Macke (1887 Bonn – 1914) in Oberhofen am Thunersee in einer spannungsvollen, überzeugenden Ausstellung und einem sehr reich gestalteten Buch auf.

Die erste von vielen Begegnungen in der Schweiz ist August Mackes Besuch im Kunstmuseum Basel als 16-jähriger. 1907 bricht er das Studium an der Kunstakademie Düsseldorf wegen ihrer veralteten Lehrinhalte ab. Die Begegnung mit den Impressionisten löst bei ihm eine radikale Wandlung in seiner Malweise aus. Mit vollem Engagement setzt er sich kulturpolitisch für die Durchsetzung einer modernen Ausdrucksweise ein. Er wirkt beim Almanach «Der blaue Reiter» mit (Manifest des Expressionismus).

«In der Zeit am See erarbeitet der Künstler eine eigene Mal- und Ausdrucksweise, die in ihrer Synthese von Farbe, Form und Rhythmus, ihrem heftigen Leuchten, heute noch begeistert»

Dorothe Freiburghaus

In Berlin findet mit seiner Unterstützung der «Erste deutsche Herbstsalon» statt. Erschöpft reist er danach im Oktober 1913 mit seiner Familie an den Thunersee, wo er bis Ende Mai 1914 intensiv malt. Anfang August bricht der Erste Weltkrieg aus, der eingezogene Macke fällt bereits am 26. September. In der Zeit am See erarbeitet der Künstler eine eigene Mal- und Ausdrucksweise, die in ihrer Synthese von Farbe, Form und Rhythmus, ihrem heftigen Leuchten, heute noch begeistert.

Das thematisch gefasste Ausstellungkonzept beeindruckt mich. Gleich am Eingang empfängt uns eine wandgrosse, schwarz-weisse Fotografie vom Bälliz in Thun, die uns sofort in die Zeit zu Beginn des letzten Jahrhunderts versetzt: Gassen, Lauben, Geschäftsauslagen, Passanten. Hier findet der Maler August Macke wichtige Sujets.

In weiteren Ausstellungsräumen werden wir mit grossformatigen Fotos gleichsam in den Familienalltag einbezogen. Wir sind mit Mackes beim Haus Rosengarten, beim Zirkusbesuch und Picknick am See, mit Klee und Moilliet in Tunis und am Weihnachtsfest. Der grosse Saal des Museums ist in intime Räume unterteilt, eine den Ausstellungswerken entsprechende, geschickte Lösung. Das ZPK mit seinen unzähligen kleinen Bildern in grossen Räumen könnte davon lernen. Viele verschiedene Aspekte lassen sich so klar herausarbeiten. Der Alltag bringt dem Künstler die Themen. Skizzen, Studien und Ölbilder entstehen, die eingebunden in die entsprechend gestalteten Ausstellungsräume die Entwicklung und Selbstfindung des 27-jährigen verfolgen lassen.

Ein Raum, der mich besonders berührt, ist den Akrobaten und dem Zirkus gewidmet. Im Seiltänzer erkennen wir die Situation des Künstlers, der sich zwischen kreativem Höhenflug und grösster existentieller wie auch gesellschaftlicher Gefährdung bewegt. Hoch oben auf dem Seil der Bestaunte, unten die Menge, knapp applaudierend. Auch Moilliet nimmt das Motiv des Seiltänzers auf. Wenig früher hat sich Picasso mit dem Clown und den Artisten auseinander gesetzt. Die neu errungene Unabhängigkeit von der Auftragskunst, die Freiheit des Künstlers, hat ihren Preis. Das ist heute nicht anders.

Zum künstlerischen Vergleich sind in die Ausstellung Bilder des Berners Louis Moilliet einbezogen, der mit August Macke eng befreundet war. Verwandtschaften in der Malerei werden sichtbar, gegenseitige Anregungen, auch gleichzeitig entstandene Bilder werden gezeigt. Expressive, farbenfrohe Gärten, See und Segelboote, Passanten in Thuns Lauben und vor Schaufenstern sind in Gruppierungen zusammengefasst. August Macke, der Künstler, wählt einen bestimmten Blickwinkel, der eine neue Welt eröffnet. Er zerlegt die Formen und das in Farbe gefasste Licht in einzelne geometrische Farbfelder. Ein starker Rhythmus zeichnet seine Malerei aus und nimmt mich gefangen. Farbe und Licht locken August Macke, Paul Klee und Louis Moilliet im Frühling auf die berühmte Reise nach Tunesien. Die Farben werden heller und tansparenter, die Komposition abstrakter. August Macke sieht das Bild als Gleichnis, nicht als Abbild der Natur.

Noch eine Ausweitung erfährt die Ausstellung, indem Niesen- und Thunerseebilder auch von anderen Künstlern (Amiet, Itten, Klee, Hodler, Morach, Pflugshaupt) einander gegenüber gestellt werden. Eine geglückte, und beglückende Schau.