Spitex und Schein-Sparen

von Johannes Wartenweiler 1. Juli 2013

KOLUMNE | Einmal mehr legt die Berner Regierung ein schmerzhaftes Sparpaket vor. Dieses enthält auch Kürzungen bei der Spitex. Damit wirft der Regierungsrat die eigene Politik über den Haufen und nimmt Zusatzkosten in anderen Bereichen in Kauf.

Oft sind die aufschlussreichen Sätze tief in einem Bericht vergraben. Hier zum Beispiel im 3. Band des Geschäftsberichts des Kantons Bern auf den Seiten 139 und 140. Dort liest man zuerst: «Die aktuelle Pflegeheimplanung des Kantons geht langfristig von maximal 15’500 Plätzen in Alters- und Pflegeheimen aus. Um diese Maximalzahl an Pflegeheimplätzen trotz des demographischen Wachstums nicht zu überschreiten, muss die Förderung von alternativen Angeboten (z.B. Spitex oder Wohnen mit Dienstleistungen) weiter vorangetrieben werden.» Und dann: «Bei der Spitex haben die Leistungen in den letzten Jahren auch alterspolitisch begründet (vgl. oben) erheblich zugenommen. Damit soll eine Erhöhung von stationären Pflegeheimplätzen mit den entsprechenden Folgekosten für den Kanton verhindert werden.»

Im Kanton Bern beziehen rund 37’000 Personen Dienstleistungen der Spitex in den Bereichen Pflege und Haushalt. Das damit verbundene Arbeitsvolumen entspricht knapp 2000 Vollzeitstellen.

«Die Einsparungen werden durch zusätzliche Belastungen und Verlagerungen in den privaten Sektor kompensiert.»

Johannes Wartenweiler

Nun hat der Regierungsrat beschlossen, einen anderen Weg einzuschlagen. Im Rahmen des Sparprogramms ASP schlägt er dem Grossen Rat bei der Spitex Kürzungen von knapp 20 Millionen Franken jährlich vor. Angesichts der eingangs formulierten Herausforderungen des Kantons im Bereich der Alterspolitik kann das nur heissen, dass die Einsparungen durch zusätzliche Belastungen und Verlagerungen in den privaten Sektor kompensiert werden und zwar wie folgt:

Erstens wandert ein Teil der Kosten in den Bereich der stationären Aufenthalte. Was mit Spitex nach Möglichkeit verhindert werden sollte, wird nun wieder vermehrt die Lösung für auftretende Betreuungsprobleme. Die damit verbundenen Kosten sind höher.

Zweitens werden die Angehörigen wieder stärker in die Pflicht genommen. Das ist nicht grundsätzlich falsch – aber unter Umständen eine massive Belastung, der nicht alle Menschen gewachsen sind.

Drittens: Wenn die Angehörigen den Betreuungsaufwand nicht selber leisten können, greifen sie auf Personal zurück.

Der Bereich der privaten Betreuung ist ein wachsender, kaum überschaubarer Sektor. Private Anbieter, teilweise recht windig, treten als Vermittler von Personal auf, das aus aller Welt kommt. Dessen Löhne und Arbeitsbedingungen sind oft schlecht und prekär. Aufgrund der Einbindung in private Haushalte ist es für sie schwierig, ihre Rechte durchzusetzen. Häufig arbeiten in diesem Sektor Menschen ohne Arbeitsbewilligung – sogenannte Sans-Papiers. In der Schweiz wird die Zahl der Hausangestellten ohne Aufenthaltsbewilligung auf etwa 40’000 Personen geschätzt. Wenn man die Zahl auf den Kanton Bern herunterbricht (etwa einen Achtel der Bevölkerung der Schweiz ) kommt man auf die Zahl von 5000 Personen – davon arbeitet ein beträchtlicher Teil im Bereich der Spitex.

Die Reduktion der Spitex-Leistungen ist unzweifelhaft mit zusätzlichen Arbeitsleistungen in diesem – trotz nationalem Normalarbeitsvertrag mit Mindestlöhnen – schlecht zu regulierenden und kaum zu überwachenden Wirtschaftssektor verbunden.

Die Kürzungsvorschläge werden noch viel zu reden geben. Was man schon jetzt sagen kann: Im Bereich Spitex wirft der Regierungsrat seine eigene Politik über den Haufen und nimmt Zusatzkosten in anderen Bereichen in Kauf. Das ist Schein-Sparen.