Wann ist Kunst Kunst? Eine verpasste Chance.

von Dorothe Freiburghaus 15. April 2013

Marlboro-Zigaretten, Cowboy-Ikonen, Werbung und Kunst. Gedanken zu Hannes Schmids Auftragsarbeit im Kunstmuseum Bern.

Ich war nie Marlboro-Raucherin. Die Packung meiner Zigaretten war auch nie die rote, die sich gemäss Testen am besten verkauft. Aber der Werbung für die Marlborozigaretten – dem Cowboy, der auf seinem wendigen Pferd vor weitem Land und rotglühendem Himmel einen Moment innehält, um sich eine Zigarette anzuzünden und wieder in der Prärie zu verschwinden – diesem Urbild von Kraft und Energie, dieser Ikone von Freiheit, Einsamkeit und Sehnsucht konnte ich mich nicht entziehen. Es ist gut möglich, dass ich mir von dieser raffinierten Werbung umworben einen Western mehr ansah. Das weite und unwirtliche Land, über das die Kuhherden getrieben wurden, das es zu erobern, den Indianern wegzunehmen, zu verteidigen und zu besitzen galt. Kulisse für Geschichten, in denen immer der Gute siegt und der Böse schliesslich im Kampf umkommt. «High Noon», «Spiel mir das Lied vom Tod». Die Schauspieler John Wayne, Gary Cooper und Charles Bronson wurden damit zu lebenden Legenden.

Die Wildwest-Aufnahmen für die Marlboro-Zigaretten hat Hannes Schmid aus dem Toggenburg CH mit viel Gespür für eine zweckbestimmte Inszenierung gemacht. Er hat den Cowboy, den Marlboro-Man, auf den Philipp Morris in der Werbung setzte, mit den grandios gestylten Fotos zur Ikone von Freiheit und Abenteuer gesteigert. Er hat eine kraftvoll mythische Figur für den Verkauf von Zigaretten geschaffen.

Und jetzt sind diese Fotos im Hodlersaal im Kunstmuseum Bern zu sehen. Dunkle Silhouetten von Reiter und knapp gezügeltem Pferd vor gleichmässig rotem Grund. Grossformate. Was mich als geniale Werbung fasziniert, wirkt hier plötzlich dünn und ohne Substanz. Was in einer Werbekampagne wichtig ist, dass etwas rasch und unbewusst aufgefasst wird, wirkt in dieser Umgebung flach. Zu schnell ist es gelesen, zu wenig Nahrung erhält ein suchendes, schauendes Auge.

Ein paar Schritte weiter treffe ich auf die Cowboygeschichten in Öl auf Leinwand. Die Formate ebenso gross oder noch grösser. Malt Hannes Schmid seine Fotos ab? Macht er Kopien seiner Fotos? Nein, die entsprechenden Aufnahmen fehlen.

Vermutlich gibt es das Foto nicht und Hannes Schmid malt mit Hilfe eines Diapositivs ein fotorealistisches Bild wie in den 70er Jahren in den USA Richard McLean (Hauptmotiv: Zuchtpferde mit ihren Besitzern), Ralph Goings (Autos und Schnellrestaurants), in Deutschland Matthias Holländer, Jan Peter Tripp oder in der Schweiz der junge Franz Gertsch gearbeitet haben. Das Interesse galt einer möglichst exakten Umsetzung von Fotografie in Malerei. Eigentlich eine Reproduktion eines Diapositivs. Der Maler nennt es ein Original, das abgelichtet wieder dem Foto oder Dia, seiner Ausgangslage entsprechen würde.

Warum Hannes Schmid seine Cowboy-Fotos oder -Dias malt?

2005 ist er an der Biennale von Venedig seinen eigenen Fotos begegnet. Richard Prince, ein amerikanischer Künstler, hatte sie von der Marlboro-Werbung abgelichtet, die Zigarettenhinweise, sowie den Namen von Hannes Schmid entfernt. Er kritisiert mit diesen «Zitaten», mit den gestohlenen Fotos die amerikanische Gesellschaft mit ihren Konventionen, und ebenso das Konzept von geistigem Eigentum.

Prince wendet sich mit seiner Serie der abfotografierten Marlboro-Cowboys gegen die Verklärung eines Cowboy-Daseins, das es in dieser Form nie gab. Der Cowboy, Kuhhirte, niederer Ranch-Gehilfe wird durch Schmids Fotos hochstilisiert zur Ikone von Kraft, Mut und moralischer Stärke, mit der sich der Amerikaner als Macho identifiziert. Allerdings wendet sich die Kritik von Prince teilweise gegen ihn selbst, denn dadurch dass seine Bilder hohe Preise erzielen (eine Cowboy-Foto kam 2005 bei Christie’s für 1,5 Millionen Dollar unter den Hammer) ist er selber zum Kritisierten geworden.

Der Fotoklau bewog Hannes Schmid dazu, seine Aufnahmen nicht mehr als Foto sondern als Malerei an die Öffentlichkeit zu bringen und Originale zu verfertigen. Die Ölbilder sind technisch perfekt gelöst, mit vielen Details – und doch packen sie mich nicht.

Reicht es, ein Bild technisch perfekt zu malen, damit es Kunst wird?

Reicht es, wenn der Museumsdirektor, der diese Bilder in New York für uns entdeckt hat, eine Sehnsucht darin verspürt und in der Museumsnacht in einem Gespräch mit dem Künstler diese Sehnsucht zur Kunst erklärt? Bedeutet Darstellung von Sehnsucht Kunst?

Bedeuten technische Meisterschaft und Virtuosität auch Gehalt und Substanz, das Ringen um ein tieferes Verständnis?

Wann und wie wird ein für die Werbung geschaffenes Motiv zur Kunst? Wie stehen Auftragsarbeit (Modefotografie, Rockstars, Cowboys, Studioporträts für Pro Infirmis) zu freiem Schaffen? Die Auseinandersetzung mit dieser Frage wäre die Ausstellung im Kunstmuseum Bern wert. Sie findet aber nicht statt, auch nicht im umfangreichen Katalog, in der Du-Sonderedition oder den Begleitschreiben zur Ausstellung. Die Anstrengungen von Hannes Schmid seine Fotos in Öl zu malen werden knapp erwähnt. Auf ihre besondere Position im Gesamtwerk wird nicht eingetreten.

Wozu dann diese Ausstellung? Was hat sie mit Bern, was mit uns Betrachtern zu tun? Bei der Suche nach Antworten auf die grossen Fragen der Kunst wird der Besucher allein gelassen.